1610 03 - Soehne der Zeit
ihm ein Pferd verkaufen oder ihm eine Wette auf einen Hahnenkampf anbieten. Ich könnte ihn auch wegen eines fiktiven, armen Verwandten bei Hofe bedrängen … All das würde ihn vermutlich dazu bewegen, augenblicklich aufzubrechen und diese dumme Idee mit dem Bad im Fluss zu vergessen. Das war kein Mord, doch wenn ich tatenlos zusehe, wie ein Mann niedergeschossen wird, ohne etwas dagegen zu unternehmen, dann bin ich auch nicht unschuldig …
»Wenn es Euch nichts ausmacht, Königliche Hoheit, würde ich lieber nicht schwimmen.« Ich zögerte nur einen Augenblick, bevor ich fortfuhr: »Ein armer Gentleman wie ich sollte nicht in Gesellschaft eines Prinzen schwimmen.«
Heinrich nickte zustimmend. Wäre ich anderer Stimmung gewesen, ich hätte gelächelt.
Am Rand des Tennisplatzes drehte sich einer von Heinrichs edlen Freunden um. Es war ein dunkelhaariger, junger Mann, den ich sofort erkannte. Robert Fludd hat ihn als den nächsten wahrscheinlichen Akteur in diesem Spiel benannt.
Er rief: »Mein Herr … lasst uns auf noch ein Spiel wetten, bevor wir hier fertig sind!«
Und nun boten sich mir beide Möglichkeiten, ganz so, wie Fludd es vorausgesehen hatte.
Dieser Moment … hier und jetzt. Wenn dieser ansonsten eher unscheinbare junge Mann das Leben seines zukünftigen Königs rettete, indem er ihn ablenkte …
Ich wusste, dass das Ganze nicht nur eine Frage des Unterlassens meinerseits sein würde.
Nun stand ich also dort, wo vor mir Robert Fludd, Caterina und die anderen Giordanista gestanden hatten, und ich sah in der Wirklichkeit, was noch vor einem Augenblick bloße Annahme gewesen war. Hatte Caterina sich genauso gefühlt, als sie den Pistolenlauf an ihrem Kopf spürte? Und wie würde der junge Mann sich fühlen, wenn er wüsste, dass er mit seinem Tun das Gleichgewicht verändern könnte?
Bevor Heinrich reagieren konnte, beschloss ich, das Wort zu ergreifen.
Mit einem herausfordernden Unterton in der Stimme sagte ich: »Ich werde nicht schwimmen, doch wenn es Euch gefällt, werde ich Euch begleiten, um einen Prinzen zu sehen, der hart genug ist, bei solchem Wetter zu baden.«
Vor der Tür schien die Herbstsonne, doch es war nicht nur klar, sondern auch kalt.
»›Bei solchem Wetter‹?« Heinrich stieß ein spöttisches Lachen aus, und die jungen Männer um ihn herum stimmten mit ein. »Meine Herren, sollen wir diesem Holländer mal zeigen, dass wir schon hart geboren werden?«
Ein Chor der Zustimmung hallte in der Tennishalle wider.
Ich folgte Heinrich und seinem Hof über die Uferwiesen zum Fluss.
Wird sich hier vielleicht doch noch alles ändern?
Habe ich diesen Mann gerade zum Tode verurteilt? Und auch die anderen, die bei ihm sind?
Alles war genauso geschehen, wie Fludd es mit Hilfe von Brunos Mathematik vorausgesehen hatte: der Wunsch des Jungen, heute schwimmen zu gehen; der andere Junge, der ihn mit einem weiteren Spiel hatte ablenken wollen … Nur dass ich auch noch hier war, und ich wusste, wie man einen eitlen jungen Mann manipulierte. Das war also der Augenblick, in dem das weniger Wahrscheinliche zur Realität wurde …
Das Herbstlicht fiel wie Honig auf das Gras. Die kleinen und weniger widerstandsfähigen Vögel sammelten sich bereits in Scharen in den Bäumen, um bald gen Süden zu ziehen. So manch ein Bauer in der Bretagne und der Normandie würde seine Kochtöpfe aus diesen Schwärmen füllen. Der Himmel war zwar noch so blau wie im Sommer, doch am Horizont kündete eine weiße Linie von der Kälte.
In Wahrheit war ich schon an weit kälteren Tagen schwimmen gegangen: in den Kanälen in den Vereinigten Provinzen, wo wir das Eis hatten aufbrechen müssen, um an Wasser zu kommen. Das war töricht gewesen, und zum Schluss waren wir alle blau vor Kälte gewesen, doch war niemand von uns gestorben.
Fludds Prophezeiung hat jedoch nichts mit Kälte zu tun.
Nachdem seine Diener ihn wieder von den Kleidern befreit hatten, blickte der Prinz auf und winkte mich herrisch zum Ufer.
Ein, zwei Mann hinter mir murmelten verärgert ob der Gunst, die mir der Königssohn plötzlich erwies, und beschwerten sich über ›üble Tricks mit frischem Leinen‹, um Aufmerksamkeit zu erregen …
»Immerhin habe ich ein Hemd«, bemerkte ich in freundschaftlichem Ton zu einem stolzen Höfling, der, wie ich vermutete, nur Manschetten und Kragen unter seinem Wams trug, so arm wie er mir angesichts seiner Stiefel zu sein schien. Begleitet von dem darauffolgenden Gelächter ging ich über das Gras und
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