1610 03 - Soehne der Zeit
Höhlen gesunken seien, er blass aussehe und seltsam rede. Elf Tage später, am Abend des 6. Novembers, nachdem sich sein Zustand immer weiter verschlechtert und die Ärzte ihn mit Behandlungen malträtiert hatten, die ich keinem Hund wünschte, starb der Junge.
In der Öffentlichkeit machten panische Gerüchte über Gift die Runde. Nur ein paar seiner Ärzte behaupteten, es seien die bösen Dämpfe der Themse gewesen, und gaben die Schuld dem Schwimmen. Das Volk von England war seines goldenen Prinzen beraubt worden und trauerte um ihn, als wäre Christus ein zweites Mal gekreuzigt worden.
James Stuart kam nicht ans Sterbebett seines Sohnes.
»Ich habe verlauten lassen, dass ich Angst vor der Krankheit habe«, sagte er zu mir unter vier Augen. »Aber, Mann, welcher Vater kann seinem Sohn in die Augen schauen und ihm sagen, dass er gehasst wird? Es war besser, ihn in Frieden gehen zu lassen.«
Als er einen Gesichtsausdruck bei mir bemerkte, den ich eigentlich hatte verbergen wollen, streckte der alte Mann die Hand aus und legte sie mir auf die Schulter.
»Es hat so sein sollen. Er ist schon hundert Mal zuvor geschwommen. Gott hat in seiner Weisheit beschlossen, ihn als Verräter und Judas niederzustrecken. Gott hat es so gewollt.«
»Die Worte Eurer Majestät vermögen einem Mann großen Trost zu spenden«, sagte ich.
Nur unglücklicherweise bin ich nicht dieser Mann.
Alles, was ich getan habe, habe ich getan. Auch jetzt noch entschuldige ich mich nicht damit, dass dieser oder jener mir den Befehl dazu erteilt hat. Ich bin niemandes Hand, und meine eigenen sind nicht rein.
Ein Mann vermag Wissen, das er einmal hat, nicht zu ignorieren.
Oder falls er das doch kann, so bin ich auch nicht dieser Mann.
Rochefort: Memoiren
Fünfzig
Als Minister Robert Cecil sechs Monate zuvor gestorben war, hatte es keinen Tag gedauert, da waren bereits die ersten Nachrufe zu lesen gewesen. ›Hurenbock‹ hatte man ihn genannt, ›Betrüger‹, ›Tyrann‹ und ›Dieb‹.
»Aber Heinrich, Prince of Wales … Heinrich war ›der junge Artus‹«, bemerkte ich düster zu mir selbst.
Ich kippte den Lederbecher und trank. Deutlich fühlte ich die Wärme in meinem Bauch und nicht mehr den kalten Luftzug, der durch den Kamin hereinwehte, oder die Erinnerung an die Menschen, die auf den Straßen vor Trauer auf die Knie sanken. Seine Beisetzung wird ein monumentales Ereignis werden.
»Monsieur«, sagte Fludds Stimme.
Überrascht blickte ich auf und sah, dass er zu mir in die Küche des Hauses an der Coleman Street hinuntergekommen war.
Ich lächelte schief und konnte meine Belustigung einfach nicht verbergen. »Das ist jetzt nicht der passende Moment.«
»Doch das ist es«, widersprach Fludd und musterte mich misstrauisch. »Ich möchte damit beginnen, dass Ihr Euch das einmal ansehen solltet.«
Ich ignorierte, was er mir entgegenhielt. »Ich verspüre nicht den Wunsch, mir noch weitere Eurer Papiere anzusehen – oder Caterinas, wo wir schon mal dabei sind. Heute nicht.«
Draußen tranken alle aus Trauer um den Prince of Wales. Ich trank auch … doch nicht auf Heinrich, sondern auf den Tod der Unschuld.
Ich goss den letzten Rest aus dem Steinkrug in den Lederbecher; etwas Besseres hatte ich nicht gefunden, woraus ich trinken konnte. Wenn ich ihn gegen die Wand warf, würde er nicht zerbrechen, aber reißen, sodass der saure Wein aus dem Leder sickerte.
Das Licht der Glut im Herd und der beiden verbliebenen Kerzen reichte nicht aus, die Schatten in der Ecke zu erhellen, doch Fludds hageres Gesicht konnte ich deutlich sehen.
Ich wandte mich von ihm ab, sank auf die Bank zurück und fragte mich, wie lange Gabriel wohl noch brauchen würde, um neuen Wein aus der Taverne zu bringen.
»Rochefort!«
Der Astrologe und Arzt glitt nahezu lautlos über den Bodenstreu. Ich bemerkte gar nicht, dass er sich hinter mich gestellt hatte, bis er sprach. Erschrocken zuckte ich zusammen und drehte mich viel zu schnell auf der Bank um.
Vermutlich hatte Gabriels ständiges Putzen das Holz rutschig gemacht. Wie auch immer, auf jeden Fall verlor ich den Halt und fiel in den Streu vor dem Herd.
Ich richtete mich wieder auf und spähte in meinen Becher, aus dem ein Zoll Wein verschüttet war. »Trinkt was davon. Wein. Nein … Trinkt was.«
Fludd blickte zu mir hinunter. Ich beobachtete, wie er von jedem Versuch Abstand nahm, mir aufzuhelfen. »Und warum trinken wir, Monsieur Rochefort?«
»Aus medizinischen Gründen.«
Sein Mund begann,
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