162 - Das Grauen aus der Baring Road
blieb, zu begreifen.
Jemand brüllte eine Reihe von Befehlen. Vereinzelte Schüsse trafen das Auto, hinter dem Slikker kauerte, und jaulten als Querschläger davon. Er achtete nicht darauf. Etliche hundert Meter entfernt standen Schaulustige, von denen die meisten nun allerdings das Weite suchten. Das Schauspiel, das sie zu sehen gehofft hatten, begann zunehmend auch für sie gefährlich zu werden. Doch das interessierte Slikker ebenfalls nicht. Sein Augenmerk galt allein dem Mann, der neben einem Rover stand und wie gebannt herüberblickte.
Das ist Hunter,
dröhnte die lautlose Stimme Palawaikös in seinem Schädel.
Der Mann, der mich fast ausgelöscht hätte. - Töte ihn!
Dorian Hunter war gerade im Begriff, wieder ins Auto zu steigen, als das Echsenmonstrum aufsprang und mit weit ausgreifenden Sätzen die Straße entlanghetzte. Die Beamten von Scotland Yard schossen nicht, denn sie hätten die Menschen treffen können, die kreischend und wie ein Schwarm aufgeschreckter Hühner auseinanderstoben. Alle - nur dieser Hunter nicht.
Das Monstrum reagierte verwirrt. Von dem Mann ging eine Ausstrahlung aus, die ihm Schmerzen bereitete.
Töte ihn!
drängte Palawaikö.
Noch zehn Meter. Die Schmerzen wurden schier unerträglich. Selbst Palawaikö schien sie zu spüren, denn sein gedankliches Drängen verstummte schlagartig. Slikker kam vorübergehend zur Besinnung. Was er getan hatte, wirkte mehr als nur wie ein Schock auf ihn. Fauchend warf er sich herum, rannte in die nächste Seitenstraße. Er wußte nicht mehr, daß es die Lucas Street war, die auf der Höhe der Thornville Street die Eisenbahn überquerte. Im Moment war das für ihn auch noch nebensächlich.
Slikker floh - nicht, weil er die Waffen der Beamten gefürchtet hätte (er hatte ohnehin festgestellt, daß die Kugeln ihm nichts anhaben konnten), sondern eher schon vor sich selbst. Er wollte nicht länger auf diesem sich zunehmend schneller drehenden Karussell des Tötens und Töten-Müssens mitfahren.
Ein kleiner, verwilderter Garten erschien ihm als geeignetes Versteck. Slikker hechtete über die ausgeschossene Thujahecke und landete in kniehohem, verfilztem Gras. Aus der Nähe wirkte das Anwesen noch weit ungepflegter, als dies von der Straße aus den Anschein hatte. Disteln und Brennesseln wucherten fast überall; alles mögliche Unkraut hatte die Waschbetonplatten des vom Gartentor rund um das Haus führenden Weges aufgeworfen. Eine Ecke des Gartens war mit Koniferen völlig zugewachsen. Starke Äste peitschten Slikker ins Gesicht.
Plötzlich war eine Bewegung vor ihm. Ein kleiner, weißer Hase hoppelte ängstlich unter den Bäumen hervor.
„Ich an deiner Stelle würde gar nicht daran denken, Bunny auch nur ein Haar zu krümmen", sagte unvermittelt eine Fistelstimme. „Er ist mein Freund."
Slikker hätte die Kreatur, die nur das Zerrbild eines Menschen war, kaum bemerkt, hätte sie ihn nicht so furchtlos, ja fast schon herausfordernd, angesprochen. Das Wesen maß höchstens einen Meter zwanzig, besaß einen dicht behaarten, eiförmigen Schädel, der übergangslos auf dem gekrümmten Rumpf saß, während die spitzen Schulterblätter bis über den Kopf ragten. Flache Brüste zeichneten sich ab.
„Wer schickt dich?" fragte die Fremde. Auch von ihr strahlte etwas aus, was Slikker sich nicht zu erklären wußte. Gleich darauf schien sie schon wieder nur an den Hasen zu denken. „Komm, Bunny, komm." Ein Leuchten stand in ihren tiefliegenden Augen, als sie, auf einen knorrigen Stock gestützt, hinter dem Kaninchen her humpelte.
Mühsam unterdrückte Slikker seinen unseligen Drang. Seit er diesem Hunter gegenübergestanden hatte, schwieg Palawaikös lautlose Stimme, gewann er zunehmend seine Entscheidungsfreiheit zurück.
Im Abstand von gut fünfzig Metern fuhren zwei Polizeiautos hintereinander die Straße entlang. Die Beamten blickten suchend in die Gärten. Slikker rannte weiter, um das kleine Haus mit der abblätternden, verwitterten Fassade herum. Fort von hier, war sein einziger Gedanke, vielleicht findet Palawaikö mich nicht mehr.
Irgendwo schlug ein Hund an - er achtete nicht darauf. Auch nicht auf die Frau, die hinter einem offenen Fenster stand und hysterisch zu schreien begann, als sie das Echsenwesen sah.
Minuten später erreichte Slikker die Thornville Street. Ein Streifenwagen kam ihm entgegen. Im vollen Lauf warf er sich die Böschung hinunter, die Arme ausgestreckt, um sich abzufangen. Hinter ihm quietschten Bremsen, schlugen
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