162 - Das Grauen aus der Baring Road
bodenlosen Abgrund zu stürzen. Er taumelte, stieß schwer gegen den Kühler eines Rolls Royce älteren Baujahrs. Am liebsten hätte er hier verharrt und auf die Polizisten gewartet. Vielleicht wußten sie eine Erklärung für all das, was ihm an diesem Morgen widerfahren war. Immerhin hatte er 20 unfallfreie Jahre hinter sich.
Doch da war eine Stimme in seinem Innern, die ihn nicht ruhen ließ, die ihn erbarmungslos antrieb. Slikker begann gegen seinen Willen zu rennen, schneller und immer schneller, bis er schließlich etliche Straßenzüge weiter in einem Park zusammenbrach.
Um nichts in der Welt wäre Miß Pickford in dieser Nacht noch einmal in ihr Bett gegangen. Jegliche Müdigkeit war ohnehin wie weggewischt.
Lieber stellte sie sich in die Küche und begann mit den Vorbereitungen für das Mittagessen. Im Schutz des großen geschnitzten Holzkreuzes mit der Christusfigur über der Tür fühlte sie sich sicherer.
Zuallererst schnitt sie sich einige Scheiben Weißbrot ab, bestrich diese dick mit Margarine und obenauf mit mehreren kleingehackten Knoblauchzehen. Schon der erste Bissen trieb ihr das Wasser in die Augen, und der scharfe Knoblauchsaft reizte ihren Gaumen. Aber Martha Pickford hielt sich wacker, und nachdem sie mit einer Prise Salz die Schärfe ein wenig gedämpft hatte, schälte sie zwei weitere Zehen ab. Den Rest des geflochtenen Zopfes ließ sie offen neben der Arbeitsplatte liegen. Der Anblick der weißgrauen Knollen mußte jedem Vampir ein wahres Greuel sein.
Das Fleisch für den Mittag war flachsig. Martha Pickford hatte Mühe, es vom Knochen zu lösen. Zudem benutzte sie kein Küchenmesser, sondern eine scharf geschliffene, silberne Klinge. Sollte der Vampir ruhig noch einmal kommen; nun war sie vorbereitet und würde sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen lassen.
Die Nacht schien endlos zu währen. Immer wieder blickte die Frau aus dem Fenster. Als im Osten endlich ein schmaler Silberstreif heraufzog, konnte sie die Augen kaum mehr offenhalten. Einen wohligen Seufzer auf den Lippen, ließ Martha Pickford sich in den Lehnstuhl fallen und war schon Minuten später fest eingeschlafen. Um sie jetzt zu wecken, hätte es schon eines größeren Erdbebens oder einer Feuersbrunst bedurft.
Wenig später waren Schritte zu vernehmen. Jemand kam die Treppe ins Erdgeschoß herab. Kopfschüttelnd murmelte Trevor Sullivan etwas von „Festbeleuchtung", schaltete erst die Stehlampe im Eßzimmer und dann den Lüster im Treppenhaus ab und schlurfte in seinen Hausschuhen in den Keller hinunter, wo in einem der beiden Räume die
Mystery Press
untergebracht war, seine Presseagentur, die Berichte über unerklärliche Geschehnisse auf der ganzen Welt sammelte. Mit der Einrichtung dieser Agentur hatte Sullivan sich einen Traum verwirklicht.
An dem Morgen gab es allerdings nichts, was von Bedeutung gewesen wäre. Lediglich zwei Fernschreiben ausländischer Nachrichtenagenturen waren während der Nacht über den Ticker gelaufen. Sullivan überflog die knapp gehaltenen Texte - Hinweise auf dämonisches Wirken enthielten sie nicht. Es handelte sich um bedauerliche Unglücksfälle, die mit größter Wahrscheinlichkeit auf normale Ursachen zurückzuführen waren. Trotzdem warf Sullivan die Textstreifen nicht weg, sondern versah sie mit seinem Handzeichen, lochte und heftete sie in einem Ordner ab, der die Aufschrift
Unwichtig
trug.
Ein Tag, der so begann, versprach im allgemeinen ruhig zu werden. Sullivan konnte sich mit dem Rasieren und Duschen Zeit lassen. Ein flüchtiger Blick in den Garten zeigte ihm, daß der Morgen graute. Der Sturm hatte sich weitgehend gelegt, aber ein feiner Nieselregen ließ die Aussicht auf baldige Wetterbesserung im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fallen.
„Regen im Februar bringt hoffentlich ein gutes Jahr", murmelte Sullivan vor sich hin, während er sich anschickte, endlich ins Bad zu gehen.
Dorian Hunter kam ihm in der Diele entgegen. Der Dämonenkiller war bereits angezogen und hatte sogar die Enden seines über die Mundwinkel nach unten hängenden Schnurrbarts gestutzt. Mit seiner Größe von 1,90 Meter, der schlanken, sportlichen Figur, dem dunklen Teint und schwarzen Haar war er nicht nur der Typ, den Frauen interessant fanden, ihm haftete auf gewisse Weise auch etwas Dämonisches an.
„Morgen, Trevor", murmelte er, ohne die Players aus dem Mundwinkel zu nehmen, die sein erstes Frühstück ersetzte. Kommentare über die Schädlichkeit dieser Angewohnheit, die er
Weitere Kostenlose Bücher