1626 - Die Nymphe
denke nicht, aber ich möchte mit Ihnen über ein bestimmtes Thema sprechen.«
Mich traf ein längerer Blick, als wollte die Person mein Inneres erkunden.
Dann sagte sie: »Setzen wir uns doch.«
»Gern.«
Martha und Judy hatten bereits vorher in den Sesseln der kleinen Sitzgruppe gesessen, denn ich sah dort zwei noch halb gefüllte Gläser stehen, aus denen sie getrunken hatten.
Beim Gehen merkte ich, dass mich Judy von der Seite her aufmerksam und misstrauisch beobachtete. Sie sprach mich allerdings nicht an, setzte sich neben mich und wartete darauf, dass jemand das Wort ergriff.
Das tat Martha. »Sie werden sich natürlich denken können, dass wir uns über Ihren Besuch schon ein wenig wundern. Sie waren so freundlich, unserer Freundin Erica einen bestimmten Namen zu sagen. Nämlich Melissa.«
»Das stimmt.«
Die Frau lächelte. »Gut, dann hat sich Erica also nicht verhört. Judy und ich sind natürlich neugierig, was es damit auf sich hat. Warum haben Sie den Namen erwähnt?«
»Das ist ganz einfach, weil es um sie geht und weil…«
»Pardon, wenn ich Sie unterbreche. Sie wissen, dass Melissa nicht mehr lebt?«
Ich wiegte den Kopf und lächelte dabei. Dann fragte ich: »Ist das die offizielle Version?«
Der Blick der Frau wurde starr. »Zweifeln Sie daran?«
»Ich denke schon. Diese Zweifel haben mich zu Ihnen gebracht.«
Martha nahm eine etwas starre Haltung an. »Das müssen Sie mir erklären, bitte schön.«
»Man hat es mir gesagt.«
»Aha. Und wer?«
Es war nicht so leicht, ihr die Wahrheit zu sagen, und ich tat mich auch schwer damit. »Es war kein Mensch, es war sie selbst, die mich angesprochen hat und mich darauf aufmerksam machte, dass sie nicht tot ist. Das ist die Wahrheit.« Ich hob die Schultern. »Zudem hat sie sich als Nonne bezeichnet. Ob das der Wahrheit entspricht, weiß ich nicht, aber aufgrund ihrer Aussage hat mich der Weg zu Ihnen geführt. Deshalb sitze ich nun hier.«
Die beiden unterschiedlichen Frauen schauten sich an. Ich war erst mal für sie zur Nebensache geworden, aber ich war ein guter Beobachter, und ich sah den Ausdruck eines leichten Schreckens auf Judy Mays Gesicht. Anscheinend hatte ich ins Schwarze getroffen. Zudem atmete sie heftig und hatte die Hände geballt.
Martha übernahm wieder das Wort, nachdem sie einmal heftig genickt hatte.
»Unsere Freundin Melissa ist tot, Mr. Sinclair. Sie können also gar nicht mit ihr gesprochen haben.«
»Ja, das sollte man annehmen, aber ich habe auch nicht mit einem normalen Menschen gesprochen.«
»Ach. Mit wem dann?«
»Mit einem Astralkörper. Mit Melissas Geist oder wie sie es auch immer nennen wollen.«
»Und wo war das?«
»Nicht weit von hier. Und in der vergangenen Nacht.«
»Wo genau?«
»An einem Waldrand. Dort ist sie mir erschienen. Sie hat mich zudem an diesen Ort bestellt.«
»Als Tote?«
»Wenn Sie das sagen.«
Martha und Judy tauschten erneut einen Blick. Besonders Judy May tat sich schwer, mir zu glauben. Sie hatte Mühe, die Kontrolle über sich zu behalten und nicht heftig zu atmen. Ihr Gesicht war von einer gewissen Röte gezeichnet, und sie presste hart die Lippen zusammen, um nicht auszuflippen.
Auch Martha war nervös geworden. »Und das sollen wir Ihnen alles glauben?«, fragte sie.
»Es steht Ihnen frei. Aber aus lauter Langeweile bin ich nicht zu Ihnen gekommen. Ich mache Ihnen nichts vor. Ich habe mit dem Zweitkörper dieser Melissa gesprochen, und sie hat mich gewarnt.«
»Wovor?«
»Vor einem Grauen, das sich in diese Welt einschleichen will. Es hat nichts mit dem Teufel oder der Hölle zu tun. Es ist etwas anderes, aber es ist existent.«
Erneut tauschten die Frauen einen Blick. Diesmal konnte sich Judy nicht mehr beherrschen. Es platzte aus ihr heraus. »Wie bei mir. Ja, ja, wie bei mir.«
Ich hatte sie bisher noch nicht angesprochen, was ich nun änderte.
»Haben Sie auch Kontakt mit dieser Melissa gehabt?«
Heftig schüttelte sie den Kopf.
»Mit wem dann?«
Sie schaute Martha an. »Soll ich es ihm sagen?«
»Ja, das musst du.«
Ich blickte in ein Gesicht, das sich verzogen hatte. Angst und auch Abwehr las ich darin, aber trotzdem konnte Judy es nicht mehr für sich behalten.
»Es war kein Mensch, dem ich begegnete und der Melissa erwähnte.«
»Wer war es dann?«
Sie senkte den Kopf und flüsterte: »Eine Nymphe, Mr. Sinclair. Ein Wassergeist.«
Es war der Moment, an dem auch ich meine Überraschung nicht mehr verbergen konnte. Ich saß für einen Moment
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