1631 - Die Taiga-Göttin
zusammengefunden hatten, weil sie einen Weg gehen wollten, der sie näher an die Natur heranbrachte und auch näher an das, was sie nach dem Tod erwartete.
»Und was genau?«, fragte ich.
»Ich weiß es nicht. Ich kann es nur ahnen. Da geht es um eine starke Naturkraft, die besonders von den Schamanen angewendet wird oder wurde. Es geht um die Einsamkeit der Taiga, die gar nicht so einsam ist, denn dort herrscht eine Göttin.«
»Bitte?«
»Ja, man nennt sie die Taiga-Göttin. Das ist eine uralte Geschichte, John. Ich kenne sie auch erst seit ein paar Stunden, weil ich meine Fühler in bestimmte Richtungen ausgestreckt habe. Das ist eine Legende aus der alten Zeit, aber sie hat in einigen Volksgruppen überlebt, die in den unendlichen Weiten der Taiga leben. Da wurde die Göttin verehrt.«
»Und warum?«
»Alte Glaube, John. Naturvölker, die zu anderen Wesen einen starken Kontakt haben.«
»Verstehe.«
»Das findest du überall auf der Welt. Und wir wissen beide, dass es Menschen gibt, die eine Verbindung zu jenseitigen Reichen oder Welten haben.«
»Das ist wohl wahr.«
»So muss es auch bei dieser Taiga-Göttin sein. Und sie scheint auch in der heutigen Zeit ihre Faszination auf die Menschen nicht verloren zu haben.«
Ich nickte und schaute aus dem Fenster. Draußen zog die südenglische Landschaft vorbei. Weitläufige Felder und sanfte Hügel, die aussahen wie ein erstarrtes grünes Meer. Ich sah Kühe auf den Weiden und goldgelbes Getreide, das sich im Wind bog.
Meine Gedanken kehrten wieder zurück zu dem Problem der Taiga-Göttin. Sie gehörte nicht in unser Land. Sie stammte aus der Weite des russischen Landes. Hier empfand ich sie als Fremdkörper.
Ich wunderte mich deshalb darüber, dass die alte Kraft bis in die Fremde transportiert worden war.
Auf diese Frage konnte mir Karina Grischin auch keine Antwort geben. So mussten wir uns mit der Erkenntnis zufriedengeben, dass eine Gruppe von Männern den Weg zur Göttin gefunden hatte und nicht mehr von ihr ablassen wollte.
Aber wer gehörte dazu?
Igor Sarow kannten wir. Wer zählte noch zu dem Kreis? Waren es nur Männer aus der Botschaft? Wenn ja, konnte das auf eine Verschwörung hindeuten.
Karina schien meine Gedanken erraten zu haben, denn sie sagte: »Wir werden es herausfinden, wenn wir der Göttin gegenüberstehen. Ich glaube inzwischen, dass sie ihren Standort gewechselt hat. Sie befindet sich hier in England.«
»Und in einem Menschen?« Ich hatte mich umgedreht und schaute die auf dem Rücksitz sitzende Karina an.
»So sehe ich es.«
»Dann muss sie verdammt mächtig sein.«
Karina nickte. »Das befürchte ich auch. Ich denke nicht, dass sie es uns leicht machen wird.«
Zunächst mal mussten wir das Haus finden, in dem die Sarows ihren Urlaub verbrachten. Der Weg führte uns in die Einsamkeit. Obwohl wir dem Meer schon recht nahe gekommen waren, hörten oder sahen wir nichts von ihm. Die Küste musste hinter dem Waldstück liegen, auf das wir uns zu bewegten, und das auf einer Piste, die recht gut zu befahren war.
Als wir das erste Haus sahen, weiteten sich unsere Augen.
Es stand am Waldrand, das Holz schimmerte skelettbleich und es war auch bewohnt. Vor dem Haus war ein Mann damit beschäftigt, altes Laub wegzufegen und es in einen Behälter zu verstauen.
Suko rollte auf den Mann zu.
»Ich denke, dass wir ihn mal fragen sollten.«
»Und ob.«
Der Mann trug eine gelbe Kappe und schob diese in die Höhe, als wir neben ihm stoppten.
Ich war ausgestiegen. Durch die offenen Wagenfenster konnten Karina und Suko mit anhören, was wir sprachen.
Rasch erfuhr ich, dass es sich bei dem Haus nicht um das einzige in dieser Gegend handelte. Man konnte hier sogar von einer Feriensiedlung sprechen.
Nur waren die Häuser nicht auf den ersten Blick hin sichtbar. Sie versteckten sich im lichten Wald.
»Kennen Sie denn die Nachbarn?«, wollte ich wissen.
»Nun ja, nicht alle. Hin und wieder gibt es auch Familien, die die Häuser mieten.«
Jetzt kam ich zum Thema und fragte: »Kennen Sie die Familie Sarow, die hier hin und wieder Urlaub macht?«
Der Mann nickte und lachte dann. »Klar, die Sarows gehören zu den Stammgästen. Sie mieten das Haus immer von Freunden.«
Ich sah Licht am Erde des Tunnels. »Dann können Sie uns auch den Weg beschreiben, den wir nehmen müssen, um das Haus zu erreichen, denke ich.«
»Klar.«
Man sah mir die Erleichterung an. Ich musste keine weitere Frage mehr stellen, der Mann wusste genau, wie wir zu
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