1640 - Ein teuflischer Nachbar
schaute auf die Nackte nieder, die jetzt kein normaler Mensch mehr war, aber auch nicht aussah wie eine Tote. Es sei denn wie eine glückliche Tote, denn die erstarrten Lippen waren noch zu einem Lächeln verzogen. An ihrer linken Halsseite zeichneten sich die beiden Wunden ab. Sie waren tief und an den Rändern leicht gequollen.
Die Cavallo überlegte. Sie wusste immer, was sie tat, und sie war sich auch einer bestimmten Verantwortung bewusst. Auf keinen Fall wollte sie, dass die Welt von Vampiren überschwemmt wurde. Es war klar, dass die Veränderte sehr bald die Gier nach Menschenblut spüren würde, kaum dass sie erwacht war. Das wollte Justine vermeiden. Es sollte keine Kettenreaktion geben. Auf eine Konkurrenz konnte sie verzichten. Die hatte sie in Dracula II schon genug, der immer noch existierte, obwohl er seine Vampirwelt verloren hatte.
Hier aber fing sie an zu überlegen. Nicht dass sie große Gefühle für Claudine van Straaten gehabt hätte, aber irgendwie war ihr die Person schon sympathisch. Sie mochte das Aussehen, den Körper, und deshalb dachte sie darüber nach, ob sie Claudine nicht am Leben lassen sollte.
Dann würde sie ihre neue Artgenossin auch vor Sinclair beschützen müssen. Sie stellte sich vor, die Domina mit in ihr Haus zu nehmen und mit ihr in der Nacht auf Jagd zu gehen.
Es war ein Gedanke, der sie immer stärker faszinierte und dafür sorgte, dass sie den wahren Grund ihres Erscheinens fast vergaß.
Claudine van Straaten bewegte sich nicht. Es würde auch noch dauern, bis sie aufstehen konnte, um festzustellen, was aus ihr geworden war.
Bis dahin wollte Justine die Entscheidung hinausschieben.
Etwas störte sie.
Den Grund wusste sie nicht. Sie hatte nur das Gefühl, dass sich in dieser Wohnung etwas verändert hatte, obwohl sie keinen Beweis dafür hatte.
Hier lauerte etwas. Hier war jemand eingedrungen, und er musste sich in ihrer Nähe befinden.
Mit einer schnellen Bewegung drehte sich die Blutsaugerin um.
Vor ihr stand ein Mann!
Das musste Adrian Block sein, auch wenn er nicht mehr so aussah, denn sein Kopf war eine Teufelsfratze…
***
Wäre Justine Gavallo ein Mensch gewesen, sie hätte den Atem angehalten. Aber sie sah nur aus wie ein Mensch, und zu atmen brauchte sie sowieso nicht.
So stand sie starr auf dem Fleck und starrte in diese widerliche Teufelsfratze mit den kalten gelben Augen, die wie geschliffene Kieselsteine aussahen.
Ein breites Maul, das zu einem faunischen Grinsen verzogen war, lange spitze Ohren und dazu ein menschlicher Körper, der in einer dunklen Kleidung steckte.
Aber sie sah noch etwas.
In der rechten Hand hielt der Mann eine Pistole, deren Lauf mit einem Schalldämpfer verlängert war, sodass eine Schussdetonation nicht zu hören war.
»Na, hat es Spaß gemacht?«
»Was soll Spaß gemacht haben?«
»Dein Spiel mit der Domina?«
»Schon möglich.« Durch Justines Kopf jagten die Gedanken. Er hatte Claudine bestimmt gesehen, aber nicht ganz, denn die Sicht auf deren Kopf war ihm durch die Gestalt der Vampirin verborgen. Zudem war Justines Mund auch nicht mehr blutig, denn die Reste hatte sie nach dem Biss abgeleckt. Es bestand also die Möglichkeit, dass Block nicht wusste, was wirklich mit seiner Mitbewohnerin passiert war.
»Es ist dein letzter Spaß gewesen.«
»Meinst du?«
Block hob die Waffe etwas an. »Ja, das verspreche ich dir. Ich bin bekannt dafür, dass ich meine Versprechen halte. Ich will auch keine Zeugen haben. Du wärst besser gar nicht erst hierher in die Wohnung gekommen. Jetzt ist es zu spät.«
»Du willst mich erschießen?«
»Das habe ich vor.«
»Und du denkst, dass du einfach so davonkommst?«
»Immer doch. Ich bin nicht nur gut. Ich bin sogar besser als die anderen, denn ich stehe unter einem besonderen Schutz. Ich habe mich mit dem Teufel verbündet. Er hat mir sogar sein Gesicht geliehen und mich wahnsinnig stark gemacht.«
»Ach - und du meinst, dass so der Teufel aussieht?«
»Davon gehe ich aus.«
»Lächerlich, das ist lächerlich. Der Teufel, wenn es ihn überhaupt als Person gibt, würde sich niemals mit dir abgeben.«
»Du glaubst nicht an ihn?«
»Nicht so.«
»Wie dann?«
»Das ist ganz einfach. Die Menschen haben sich den Teufel schon in ferner Zeit so vorgestellt, und er hat ihnen den Gefallen getan und tritt nun so auf.«
»Das ist mir egal. Ich weiß nur, dass er mir die Macht gegeben hat. Durch seine Maske bin ich unbesiegbar. Ich werde ein Leben führen, von denen andere
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