1643 - Die Templer-Katakombe
dir, John? Du siehst aus, als hättet du ein schlimmes Erlebnis gehabt.«
»Ich weiß selbst nicht, wie ich es einschätzen soll.«
Jetzt zeigte sein Gesicht Unglaube. »Dann hast du doch etwas erlebt?«
»Ja.«
»Und?«
Ich deutete auf die Wand und sagte dabei mit leiser Stimme: »Es ist wohl künstliches Gold, Godwin.«
»Was macht dich da so sicher?«
»Man hat es mir gesagt!«
»Was?«, rief er. »Gesagt? Wer?«
»Einer deiner Brüder. Ein Templer, der sich mit der Hölle verbinden musste, um den Stein der Weisen zu finden. Nicht ein Labor war wichtig, sondern Magie. Früher war das Gestein hier noch Fels. Er hat es dann in Gold verwandeln können. Aber er hat schwer darunter gelitten. Nur ist die Reue zu spät gekommen. Er starb, aber er hat sein Geheimnis weitergegeben. Ebenfalls an einen Bruder. Mehr kann ich dir nicht sagen. Wie das Wissen in Roland Radix’ Besitz geraten ist, weiß wohl nur er. Und ihn können wir nicht mehr fragen.«
Godwin nickte vor sich hin. Dabei öffnete er den Mund und flüsterte: »Ein Templer. Vielleicht auch ein Katharer. Einen Namen hast du nicht gehört?«
»So ist es.«
Godwin blickte auf die Wand und sagte: »Aber sie existiert. Da ist der Fels zu Gold geworden. Dann ist das passiert, was Menschen sich schon immer gewünscht haben. Und ich weiß nicht, was mit dieser Wand passieren soll. Sie müsste zerstört werden. Niemand soll je diese Höhle betreten und sie sehen.«
»Das weiß ich, Godwin.«
»Wie können wir es verhindern?«
Da wusste ich mir auch keinen Rat. Außerdem konnte man nicht von einer normalen Wand sprechen. Dabei dachte ich weniger an das Gold, sondern daran, wozu sie fähig war. Sie hatte diesen Orry van Daal verschluckt. Er musste irgendwo in der Masse gefangen und dabei längst erstickt sein. Es sei denn, diese Wand war das Tor zu einer anderen Dimension oder Welt.
Dieser Gedanke beschäftigte mich.
»Die Sache ist noch nicht beendet, Godwin. Davon bin ich überzeugt.«
»Was kann denn noch kommen?«
»Ich habe keine Ahnung. Ebenso wenig wie ich weiß, was mit dieser Wand geschehen soll.«
»Das werde ich mit meinen Brüdern erledigen, John.«
Ich schaute hoch. »Und wie?«
»Es wird wohl kein Problem sein, den Stollen und damit auch die Katakombe für immer zu schließen. Wir werden Sprengstoff einsetzen müssen.«
»Das wäre eine Möglichkeit.« Mich beschäftigte weiterhin der Gedanke, dass noch nicht alles vorbei war. Und das hing mit diesem Orry van Daal zusammen.
Aber es gab noch eine Person, um die wir uns kümmern mussten. Sie hieß Ellen Radix und stand nicht mehr auf ihren Füßen. Sie hatte sich hingehockt und den Rücken gegen die normale Rückwand in einer der Nischen gedrückt.
Als ich auf sie zuging und sie meine Schritte hörte, hob sie den Kopf an.
Ihre Augen glänzten, sie zitterte und hatte die Schultern hochgezogen.
»Ist alles vorbei?«
»Das weiß ich leider nicht. Ich schlage vor, dass wir uns nicht mehr um die Wand aus Gold kümmern. Wir werden die Katakombe verlassen. Später wird Godwin da Salier mit seinen Templer-Brüdern zurückkehren und alles erledigen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Die Männer werden dafür sorgen, dass die Nachwelt hier keine Spuren mehr findet.«
Ellen runzelte die Stirn. »Kann man ihnen denn vertrauen?«
»Auf jeden Fall.« Ich streckte ihr die Hand entgegen. »Es gibt keine bessere Lösung.«
Ellen ließ sich hochziehen. Sie war noch immer ziemlich fertig von dem, was sie gesehen hatte. Es würde auch eine Zeit dauern, bis sie den Schock überwunden hatte. Was hier geschehen war, das hätte die Welt radikal verändern können, wenn es ans Licht des Tages gekommen wäre. Aber das durfte nicht geschehen.
War Ellen Radix ein Problem?
Ich wusste es nicht. Aber ich hoffte nur, dass sie für sich behielt, was sie hier erlebt hatte. Im Augenblick musste ich sie in Ruhe lassen, denn sie wollte erst mit sich ins Reine kommen, das war ihr anzusehen.
Um mich kümmerte sie sich nicht. Auch Godwin ließ sie stehen und schritt an ihm vorbei. Ihr Ziel war die goldene Wand. Sie blieb so dicht vor ihr stehen, wie auch ich es getan hatte.
Bevor sie etwas unternahm, drehte sie sich noch mal zu mir um. »Darf ich sie anfassen?«
»Bitte, wenn Sie wollen.«
»Ja, das muss ich einfach.« Sie wartete noch einen Moment, bevor sie eine Hand nach vorn streckte und die Fläche über die Wand gleiten ließ.
Es war ein Streicheln, so zart und behutsam hätte auch eine Mutter ihr Kind
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