1662 - Der Engelfresser
interessierte.
»Ich rufe ihn an«, sagte Bill. »Da kommt was auf uns zu, und wir sollten uns warm anziehen.«
Sheila sagte diesmal nichts. Dafür sprach Johnny, der so stand, dass er aus dem Fenster schauen konnte. »Halt, Dad.«
»Was ist denn?«
»Komm her. Da draußen im Garten steht er wieder. Er ist noch nicht geflohen.«
Bill war sofort bei seinem Sohn und sah das, was Johnny so beeindruckt hatte. Neben dem Brunnen aus Mühlsteinen und auf einem schmelzenden Schneefleck stand der Engel, als hätte man ihn dort festgenagelt.
»Das verstehe ich nicht, Dad.«
»Ich auch nicht.«
Sheila schob sich näher, um auch hinzuschauen. Sie sprach das aus, was auch ihre beiden Männer sahen.
»Der Engel ist kaum zu erkennen. Der - der - Untergrund ist einfach zu hell.«
»Stimmt.« Bill nickte. »Aber getäuscht haben wir uns auch nicht.«
»Und worauf wartet er?«
»Hoffentlich nicht auf den Engelfresser«, flüsterte Johnny. »Das wäre grauenhaft.«
Sheila tippte gegen die Scheibe. »Vielleicht hat er es sich überlegt und will noch mal zu uns. Wobei er sich jetzt nicht mehr traut.«
»Das ist durchaus möglich«, sagte Bill. »Oder was ist deine Meinung, Johnny?«
»Ich schließe mich an.«
»Dann sollten wir etwas tun«, schlug Bill vor. Es blieb zunächst dabei. Keiner wollte den Anfang machen. Drei Augenpaare starrten den Engel an. Man wartete auch darauf, dass er sich von selbst zurückzog. Das tat er nicht.
»Soll ich mal gegen die Scheibe klopfen?«, flüsterte Sheila. »Das wäre zumindest ein Zeichen.«
Johnny widersprach heftig. »Nein, Mutter, das musst du nicht tun. Das werde ich übernehmen.«
»Wie?«
Johnny ließ sich nicht aufhalten. »Ich gehe zu ihm. Ich habe sein Vertrauen. Er hat sich an mich gewandt. Ich will einfach wissen, wie es bei ihm weitergeht.«
Sheila sagte nichts. Ihr Blick sprach allerdings Bände. Sie fürchtete sich, und selbst Bill hatte Bedenken.
»Hast du dir das genau überlegt, Sohn?«
»Klar.«
Bill verzog die Lippen. »Da gibt es noch diesen Engelfresser. Vergiss ihn nicht.«
»Tue ich auch nicht. Aber er frisst Engel und keine Menschen. Darauf kann ich wohl setzen.«
»Sei dir nicht so sicher.«
»Ich gehe trotzdem.«
Es war der Augenblick, an dem Sheila tief Luft holte. Jetzt war ihr klar geworden, dass Johnny endgültig seinen Kinderschuhen entwachsen war. Sie presste die Lippen zusammen und schaute dann auf den Rücken ihres Sohnes, als dieser die Küche verließ.
»Hoffentlich geht das gut«, flüsterte sie.
Bill gab seiner Frau nicht immer recht. In diesem Fall, jedoch tat er es…
***
Johnny betrat den Garten durch eine Seitentür. Da der Engel in eine andere Richtung schaute, wurde er nicht sofort von ihm gesehen. Das hatte er gewollt. Johnny ging näher an ihn heran. Neben einer kleinen Buschgruppe blieb er stehen, weil ihm erst jetzt etwas aufgefallen war. So ruhig wie von der Küche her gesehen stand der Engel nicht. Seine Gestalt zitterte über dem Boden und machte auf Johnny den Eindruck, als wäre er dabei, nach einem Ausweg zu suchen, den es für ihn aber nicht gab, obwohl alles um ihn herum frei war.
Etwas musste ihn stören, und Johnny wollte wissen, was es war. Er sah die Gestalt zwar nicht als seinen Freund an, aber als Mensch einen Engel zu retten, das war schon etwas Besonderes. Das hatte wohl noch niemand getan.
Noch traute er sich nicht, weiterzugehen. Er wollte auch akustisch keinen Kontakt aufnehmen und warten, bis er entdeckt wurde. Erst dann war er bereit, dem Engel einen Vorschlag zu unterbreiten.
Johnny wusste nicht, wie lange er auf der Stelle ausgeharrt hatte, bis er es nicht mehr aushielt und den Engel ansprach.
»Hallo…«
Sehr laut hatte er nicht gesprochen. Das war nicht nötig gewesen, der Engel hatte ihn schon gehört, und er reagierte auch. Johnny nahm wahr, dass die Gestalt zitterte und sich dabei in ihrem Innern verdichtete. Er hörte einen leisen Schrei, dann drehte der Engel seinen Kopf so weit nach rechts, dass er Johnny anschauen konnte. Der hatte den Eindruck, von einem Blick getroffen zu werden, obwohl in diesem Gesicht keine Augen zu sehen waren.
Etwas schlug gegen seinen Kopf. Den Eindruck hatte er jedenfalls. Tatsächlich aber war es der Beginn der Kontaktaufnahme, und erneut sägte dieses schrille Geräusch durch seinen Kopf. Er hatte Probleme, etwas zu verstehen, und erst Sekunden später hörte er, wie aus dem Schrillen laute Worte wurden.
»Weg! Flieh! Er kommt! Er ist bereits da! Er
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