1666 - Baphomets Rächer
näherem Hinsehen gar nicht mal so schlecht ist.« Ich wies zum Fenster hin. »Der Ort hat einen kleinen Hafen, und der ist bestimmt schon vor einigen Hundert Jahren hier gewesen, auch wenn er nicht so aussah wie jetzt. Aber er ist so etwas wie der Start für eine Flucht. Man stieg hier auf Schiffe und segelte in Richtung Westen, der Neuen Welt entgegen. Es kann auch eine Flucht gewesen sein, die eine bestimmte Gruppe antreten musste.«
»Sag doch gleich die Templer.«
»Die meine ich auch. Sie sind verfolgt worden. Man hat sie gefangen, gefoltert und getötet, einigen oder nicht wenigen ist die Flucht gelungen. Dazu zählte ich die normalen Ritter, aber auch die, die die Seite gewechselt und sich dem Dämon Baphomet angeschlossen haben. Sie sind ebenfalls nicht an ihren Orten geblieben, haben sich Hafenstädte gesucht, die möglichst einsam lagen und nicht unter der Kontrolle der Kirche standen. Fluchtpunkte eben, und dazu hat auch dieser Ort hier gehören können. Der Weg nach England ist nicht weit, und auch bis Schottland muss man nicht weit segeln. Es muss ja nicht immer die Neue Welt sein. Die meisten Flüchtlinge sind im europäischen Raum geblieben. Um es abzuschließen, sage ich, dass diese Gegend hier durchaus eine Templervergangenheit haben kann.«
Godwin de Salier sagte erst mal nichts. Er dachte über meine Worte nach und meinte nach einer Weile: »Ja, so kann es durchaus gewesen sein. Und jetzt ist einer zurückgekehrt, der überlebt haben soll, weil er unter dem Schutz der Hölle stand?«
»Irgendwie ist das richtig.«
»Aber warum will er sich rächen? Es ist alles vorbei. Die Zeiten sind längst vergessen.«
»Für ihn möglicherweise nicht. Dir muss ich nicht sagen, Godwin, dass eine Rache lange auf Eis gelegt werden kann, ohne dass sie dabei abkühlt.«
»Ja, das akzeptiere ich. Und ich denke auch weiter. Wenn hier tatsächlich in der Vergangenheit etwas geschehen ist, das sich gegen die Macht des Baphomet stemmte, glaube ich kaum daran, dass der Feldzug schon vorbei ist. Der Gedanke, dass dieser Rächer ein ganzes Dorf auslöschen könnte, ist grauenvoll.«
»Ja, das steht zu befürchten«, erwiderte ich mit ernster Stimme, und ebenso ernst schauten wir uns an, wobei wir beide schwiegen und den Gedanken nachhingen.
»Was bleibt uns?«, fragte der Templer schließlich und gab sich selbst die Antwort.
»Wir müssen warten und darauf hoffen, dass aus unserer Theorie Praxis wird und der Killer wieder auftaucht und uns hoffentlich in die Arme läuft.«
»So sehe ich das auch.«
»Sind die Morde in der Nacht geschehen oder am Tage?«, sprach Godwin zu sich selbst. »So genau weiß ich das nicht. Wenn der Rächer nichts zu befürchten hat, kann er auch am Tage erscheinen, denn ich traue ihm eigentlich alles zu.«
»Ja, alles ist möglich.«
»Okay, dann sollten wir uns so etwas wie einen Stützpunkt suchen. Hier sind wir zu weit vom Schuss. Ich denke, dass wir die Pension nehmen. Oder hast du etwas dagegen?«
»Nein. Es ist nur wichtig, dass Jean Calus Tod so lange wie möglich geheim bleibt. Nichts gegen eure Polizei, Godwin. In diesem Fall wäre sie mir nicht willkommen.«
»Du sprichst mir aus dem Herzen.«
Er schauderte leicht zusammen. »Ich möchte nur nicht, dass unschuldige Menschen plötzlich den Kopf des Mannes finden. Das wäre fatal und würde zu einem Chaos führen.«
Ich gab ihm recht, glaubte aber daran, dass wir den Kopf irgendwann fanden. Bis zur Haustür waren es nur ein paar Schritte. Godwin war schon vorgegangen. Er öffnete die Tür, und ich rechnete damit, dass der Templer das Haus verlassen würde. Er tat es nicht.
Auf der Schwelle blieb er stehen. Er hatte eine gespannte Haltung angenommen, über die ich mich wunderte.
»Gibt es etwas, das dich stört?«
»Ja.« Die Antwort klang leicht tonlos. »Da scheint etwas auf dieses Haus zuzukommen.«
»Was?«
»Sieh selbst.«
Godwin wich ein Stück zur Seite, sodass ich an ihm vorbeigehen konnte und nun seinen Platz einnahm. Er hatte seinen Blick nach vorn gerichtet gehabt, und das tat ich jetzt auch. Im ersten Moment sah ich nichts, doch ich glaubte nicht, dass mein Freund eine Halluzination gehabt hatte, und so schaute ich weiter.
»Es ist nicht weit vom Strand aufgetaucht«, hörte ich ihn hinter mir sprechen.
»Okay.« Das Wort war mir kaum über die Lippen gerutscht, da entdeckte ich die dünne Wand, die sich wie ein über den Boden schwebender Streifen in unsere Richtung bewegte.
»Meinst du dieses weiße
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