1692 - Das Denkmal
blickte uns an, und ich sah, dass sie aufatmete. In einem zweiten Sessel saß Ada Wells. Sie drehte uns den Rücken zu.
Als Ada Wells uns sah, war es mit ihrer mühsamen Beherrschung vorbei. Sie fing an zu weinen und schlug die linke Hand vor ihr Gesicht.
Ich wusste, dass es schwer war, sie zu trösten, und sprach sie zunächst nicht an. Nach gut einer Minute stöhnte sie auf und trocknete mit einem Taschentuch ihre Augen. Sie entschuldigte sich bei mir, und ich verstand das nicht.
»Nein, Mrs Wells, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Sie haben bestimmt keine Schuld. Der Besuch galt einzig und allein mir. Es war leider Ihr Pech, dass Sie sich in der Wohnung aufhielten, aber das werden wir schon regeln.«
»Meinen Sie?«
Ich lächelte, obwohl es mir schwerfiel, und ich fügte auch ein Nicken hinzu.
»Aber was ist mit meinem Arm?«, flüsterte sie noch immer leicht erstickt.
»Darum werden wir uns auch kümmern. Haben Sie denn Schmerzen?«
»Nein. Komisch, aber wahr.«
»Und was spüren Sie sonst?«
»Nichts« sagte sie mit leiser Stimme, »ich spüre nichts. Keine Schmerzen, keinen Druck, ich habe nur das Gefühl, dass mein Arm gar nicht mehr vorhanden ist.«
»Sie können ihn auch nicht bewegen?«
»So ist es.«
Das war zu sehen. Aber ich sah noch mehr. Da sie den Ärmel ihres dünnen Pullovers und den des Kittels hochgeschoben hatte, lag der Arm bis fast zum Schultergelenk frei vor mir, und ich brauchte keinen zweiten Blick, um etwas Bestimmtes zu erkennen.
Dieser Arm zeigte die gleiche Färbung wie bei Earl Simmons. Im Prinzip blau, aber auch mit unterschiedlichen Färbungen. Manchmal sehr dunkel, dann wieder heller, als hätte sich etwas Weißes darin verirrt.
Als ich mir die Hand näher anschaute, war dort das gleiche Phänomen zu sehen, und auch die Fingernägel zeigten eine Veränderung oder eine Verfärbung, denn sie schimmerten in einem tiefen Blau, das sogar einen leichten Stich ins Violette zeigte.
Auch den anderen Arm nahm ich unter die Lupe. Der sah normal aus, es hatte nur den rechten erwischt.
»Er ist steif«, flüsterte Ada Wells. Sie unterdrückte nur mit großer Mühe das Weinen. »Ja, er ist steif, und ich weiß nicht, ob er für immer so bleiben wird.«
»Das werden wir noch sehen.«
Meine Antwort hatte ihr Mut machen sollen, aber das war nicht der Fall, denn sie schüttelte den Kopf. »Wie wollen Sie das denn ändern, Mr Sinclair?«
»Ich weiß es noch nicht, Mrs Wells, wirklich nicht. Aber ich werde schon einen Weg …«
»John!«
Sukos Ruf unterbrach meine Antwort. Er hatte ihn nicht grundlos ausgestoßen, denn irgendetwas im Zimmer war anders geworden. Es war nicht sehr deutlich zu sehen, aber es war an der Atmosphäre zu spüren. Sie hatte sich verdichtet, und man konnte den Eindruck bekommen, als hätte sie sich mit Elektrizität aufgeladen.
Ich hatte bisher auf einer Sessellehne gesessen. Jetzt richtete ich mich langsam auf. Mein Blick glitt über die Gesichter meiner Freunde hinweg.
Shao schaute ebenso angestrengt wie Suko, und die Frage kam mir automatisch über die Lippen.
»Was ist denn passiert?«
»Wir sind nicht mehr allein!«, erklärte Suko.
»Und weiter …«
Er deutete in die Runde. »Ich kann es nicht genau erklären, John, aber Shao und ich haben den Eindruck, dass etwas nicht mehr so ist wie sonst.«
»Gesehen habt ihr nichts – oder?«
Diesmal gab Shao die Antwort. »Nein, aber wir beide haben zugleich ein so komisches Gefühl.« Sie drehte sich auf der Stelle. »Als würde man uns heimlich und aus dem Unsichtbaren hervor beobachten.«
Ich beging nicht den Fehler und widersprach ihr, obwohl ich es nicht spürte. Mein Gedanke galt meinem Kreuz, das vor meiner Brust hing. Es war durchaus möglich, dass es reagierte. Noch durchfuhr mich kein Wärmestoß, was aber nichts heißen musste.
Ich ging gern auf Nummer sicher, deshalb wollte ich es genau wissen und holte das Kreuz hervor. Von drei Augenpaaren wurde ich dabei beobachtet, und als das Kreuz auf meinem Handteller lag, da stieg doch eine leichte Enttäuschung in mir auf, denn es strahlte keine Wärme aus. Es blieb normal auf meiner Hand liegen, aber ich entdeckte doch etwas. Das Metall hatte sich zwar nicht erwärmt, aber es schien sich verändert zu haben. Es gab nicht mehr den Glanz ab, den ich von ihm kannte.
Suko hatte meinen Blick bemerkt. »Du siehst ziemlich skeptisch aus.«
»Das stimmt. Wenn du genauer hinschaust, hat das Kreuz seinen Glanz verloren.«
Suko ging einen
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