1696 - In den Ruinen des Mars
wieder mit Billiarden von Partikeln und Strahlungsquanten bombardiert, und was die stählerne Bordwand durchdrang, diente dem Biotop als Nahrung und förderte seine eigentümliche Entwicklung. „Wir müssen das Schirmfeld wieder aktivieren", schlug Kyll Bordon vor. „Es ist unsere einzige Chance." Tyler Danning schüttelte den Kopf, mehr aus Hilflosigkeit als aus Widerstand. „Dann stirbt das Biotop ganz und gar ab", wehrte er leise ab. Kyll Bordons Züge wurden härter. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie vollkommen egal mir das ist", sagte er mit mühsamer Beherrschung. „Und meinen Leuten auch. Noch haben wir eine Chance, die Syntronik und das Zeug scheinen sich ja gegenseitig zu blockieren. Aber wenn das Biotop wieder aufwacht, dann wehe uns! Wir können ihm keine zwei Minuten widerstehen, wenn es nach uns schnappen will."
„Und wenn die Syntronik wieder frei wird?" fragte Danning zurück. „Dann könnten wir ..."
„Tyler", sagte Kiraah sanft. „Die Chancen stehen eins zu eins, im günstigsten aller Fälle. Bordon hat recht, unsere einzige Chance ist, die Schirmfelder gewissermaßen von Hand wieder zu aktivieren." Tyler Danning blickte hinüber zum Eingang der Zentrale: Das schwere Stahlschott hing halb herausgerissen in seinen Angeln, davor türmte sich ein mannshoher Berg aus Wurzeln, Blättern und anderen Pflanzenteilen. Abgesehen von dem Schott wirkte die Szene friedlich, ähnlich wie in einem Urwald auf der Erde, in dem ein größeres Gebiet Natur ganz allein sich selbst überlassen worden war. Von einer Gefahr für Menschen war nichts mehr zu entdecken; die überquellend schnellen Lebensvorgänge des Biotops waren zum Stillstand gekommen, gerade noch rechtzeitig. Aber Tyler Danning wußte: Dieser Zustand konnte sich jederzeit ändern, in jeder Stunde, in jeder Minute, vielleicht in der nächsten Sekunde. Wenn das geschah, dann würde aus diesem Haufen von Wurzeln, Blattwerk, Laub, Früchten, Stämmen, Haupt-, Neben- und Seitentrieben, aus diesem unentwirrbar erscheinenden Durcheinander wieder jenes unheilvolle Knistern erklingen, das Tyler Danning schon so oft gehört hatte, durchsetzt von anderen Geräuschen, die nicht minder grauenerregend waren. Da war das Scharren und Kratzen, mit dem sich die Pflanzenmasse auf hartem Untergrund bewegte. Da war ein feines, überaus bösartig klingendes Zischen, als ob ein Tropfen ätzender Säure auf weiche, weiße Haut fiel. Manchmal .war ein Schlürfen zu hören, ein seltsames Hecheln, wie von einem rasend hungrigen Raubtier. Dann wieder blubberte und gluckste es, es klang nach einem Verdauungsvorgang, und das war es in der Regel auch, und deswegen überlief jene, die es hörten, ein eisiges Schaudern, weil sie kurz zuvor hatten erleben müssen, wie einer der Ihren von diesem Monstrum erfaßt, gepackt, zerfetzt und verschlungen worden war. Danach dieses feiste Rülpsen zu hören - das war für viele fast noch schlimmer gewesen als die gräßlichen Schreie der Qual und des Schmerzes, bevor die Stimmen der Opfer erstickt worden waren. In jeder Sekunde konnte dieses Geräuschgewitter wieder losbrechen, Tyler Danning wußte es, jeder andere auch. Er blickte über die Schar, die sich nach hartem Kampf in die Zentrale geflüchtet hatte. Nein, dieses Mal war es kein Kampf auf Leben und Tod gewesen, nicht so wie damals, als das Monster entstanden war. Dieses Mal war die Auseinandersetzung schleichend und aufreibend gewesen, hatte sich von einem Raum in den nächsten erstreckt, und immer hatten die Menschen letztlich weichen müssen. Die Todesfälle und Verletzungen waren Folge von Leichtsinn und Dummheit gewesen, sie waren nicht auf das ungestüme Angreifen des Biotops zurückzuführen. Aber an der tödlichen Konsequenz für die Opfer änderte das nichts. Jetzt standen die Verteidiger buchstäblich mit dem Rücken zur Wand; es gab keinen anderen Raum mehr, in den sie sich hätten zurückziehen können. Eine Flucht war ausgeschlossen: Bis zu den Beiboothangars waren Dutzende von Räumen zu durchwandern, in denen sich das Biotop ungehemmt ausgebreitet hatte. Auch mit Hilfe war nicht zu rechnen - der Ausfall der Syntronik blockierte die Funkanlage, und für die Funkgeräte der Beiboote galt dasselbe wie für die Boote selbst: Sie waren unerreichbar fern. „Wir müssen die Maschinenhalle erreichen, in denen die Schirmfeldprojektoren stehen", schlug Kyll Bordon vor. „Man kann sie von dort aus auch ohne Syntron schalten, und Energie haben wir einstweilen genug. Tut
Weitere Kostenlose Bücher