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170 - Die Scharen der Nacht

170 - Die Scharen der Nacht

Titel: 170 - Die Scharen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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ist er da: ein Strom verzerrter Bilder. Satzfetzen.
    Jedes dir bekannte Wort und eine Million weitere purzeln aus dem Behältnis [Shaggais Kopf]: Kollern wie ein endloser Fluss schmale Stufen hinab, stolpern, rauschen in ein Treppenhaus, einem Ziel entgegen, das nur ein großer Haufen anderer Wörter und Bilder sein kann.
    Mama… Mama, hilf mir … Steh mir bei …
    Hände heben blutverschmierte Klingen und stechen auf zuckende Körper ein. Aus glitzernden grünen Schalen springen fast nur aus Zähnen bestehende Fische und beißen dem fliehenden Menschlein in den Nacken. Schmerz.
    Raaaaahhhh… Aruula spürte, dass sich im Zentrum ihres Leibes brennende Hitze entwickelte, die bis in ihre Fingerspitzen vordrang. Glühende Lava … sich endlos dahin wälzendes Feuer … Drachengebrüll…
    Ein gedehnter Seufzer kam über ihre Lippen.
    Als sie die Augen öffnete, lag sie in der Stellung eines Embryos auf dem Grottenboden. Quai kniete neben ihr, hielt sie fest und redete in ihrer Sprache auf sie ein. Was war passiert?
    »Shaggai…«, hörte Aruula sich murmeln. »Er ist nicht von Dämonen besessen … Eine Kraft hat ihn im Dunkeln angesprungen und seinen Geist verwirrt.«
    Quai nickte, als verstünde sie, doch ihr Blick besagte, dass sie sich im Moment nur Gedanken um ihren sehr geschätzten Gast machte.
    Aruula hob den Kopf und schaute den Jungen an, der noch immer auf dem Fass saß.
    Etwas hatte sich verändert: Sein unverständliches Gemurmel war erstorben. Er schaute die fremde Frau wie gebannt an…
    ***
    Ich bin Hazee.
    Geboren in einer Nacht in der Wildnis, als haarige Bestien vor den Palisaden unseres Forts wüteten.
    Ich wurde von dieser und jener Mutter gesäugt. Gefunden wurde ich an einem Ort, in dem Gebäude am Himmel kratzten - von Tapferen Schwestern, deren im Sandsturm unheimlich wehende Kutten mich mehr ängstigten als die Taratzen, vor denen ich mich verbarg. Davor war mein Leben ein einziges Tarnen, Täuschen und Fliehen gewesen.
    Unser Stamm hatte die generationenlange Kälte und Finsternis in einer Grotte überstanden, die größer war als jedes Fort: Ein Spähtrupp unserer Ahnen hatten sie in der Wüste aufgestöbert. Die Grotte war zwanzig Etagen tief, die Wände völlig glatt. Treppen verbanden die Etagen miteinander. In allen Räumen hatten gebleichte menschliche Schädel und Knochen gelegen.
    Wir haben nie erfahren, wer die Menschen waren und wieso sie in der schönen Grotte gestorben waren. Unsere Ahnen nahmen ihr unterirdisches Reich kampflos ein und fanden dort Zuflucht, bis das Leben an der Oberfläche einfacher wurde.
    Als die Tapferen Schwestern mich aus der Vorratshöhle der Taratzen befreiten, erinnerte ich mich kaum noch an die Grotte, von der ich später erfuhr, dass sie ein Bunker war: Die Scharlachpest hatte die Jackos, die ihn bewohnt hatten, wohl dahingerafft.
    Die Schwestern nahmen mich mit und schulten mich. Ich war geschickt mit dem Säbel. Mit ihrem Glauben konnte ich nichts anfangen, doch die Ehrwürdige Mutter meinte, ich könnte trotzdem eine der ihren werden, denn der Orden brauchte nicht nur brave Gläubige, sondern auch gute Fechter, Speerwerfer und Armbrustschützen.
    Ich wollte gern bei ihnen bleiben, besonders als sich zeigte, dass es nicht nur für die Jackos schwer werden würde, angesichts der Taratzenhorden zu überleben. Da mich viele Spähtrupps ins Hinterland führten, wusste ich, dass unsere Tage in dieser Bucht gezählt waren. Ich war von der ersten Minute an eine Verfechterin des Emigrationsgedankens.
    Ja, wir mussten fort.
    Unsere Zeit war abgelaufen. Unser Lebensbereich gehörte uns nicht mehr. Er gehörte auch nicht den Jackos. Er gehörte den Taratzen, auch wenn wir nicht wussten, ob es immer so bleiben würde.
    Niemand weiß, ob Taratzen eine Kultur auf die Beine stellen können; ob sie in der Lage sind, etwas von Bestand aufzubauen; ob es ihnen gelingt, Disziplin zu entwickeln und organisiert vorzugehen.
    Viele meinten, sie würden übereinander herfallen, wenn sie den letzten Jacko und die letzte Anangu gefressen hatten.
    Die Tapfere Schwester Marnee wurde meine Tutorin.
    Sie lehrte mich vieles. »Die Einfachen sagen, die Jackos hätten das Paradies unserer Ahnen vernichtet und die Welt in Finsternis gestürzt. Das ist nur ein Aberglaube! In Wahrheit ist ein großer Stein vom Himmel gefallen, und der hat soviel Erde in die Luft geschleudert, dass die Sonne und die Himmelslichter jahrelang verhüllt waren…«
    Ich erfuhr, dass die Erde rund ist…

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