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170 - Die Scharen der Nacht

170 - Die Scharen der Nacht

Titel: 170 - Die Scharen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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hatte, den Anstand zu entwickeln, seinen Hals für andere zu riskieren.
    Die Lumpen hatten es einfacher; die taten nur, was ihnen selbst nützte.
    Mit einem Fluch auf den Lippen nahm Aruula ihre Hüfttasche, dann schlich sie aus dem Gästehaus, sprang zu Boden und pirschte den Berg hinauf.
    ***
    Nach dem Fall des Forts, in dem seine Dynastie Jahrhunderte gelebt hatte, hatte Suúnas Vater seiner Tochter eins mit auf den Weg gegeben: »Es kann nie schaden, wenn man einen Freund hat, doch wer finstere Pläne wälzt, muss auch darauf gefasst sein, dass er gewisse Vorhaben für unmoralisch hält und dir ein Bein stellt.«
    Mit anderen Worten: Schräge Dinger dreht man am besten allein.
    Sie dachte an Aruula. Ich werde meiner Rolle als egoistisches Biest nicht ganz gerecht. Irgendwann wird es mir noch den Hals brechen, Menschen in Not beizustehen…
    Der Morgen würde frühestens in zwei Stunden grauen.
    Suúna hockte in einem Gebüsch an der rechten Seite des Klosters und betastete das Lasso, das über ihrer Schulter hing.
    Vor ihr führte ein meterbreiter Landstreifen an der Außenmauer entlang. Er endete an einer tiefen Schlucht, die wahrscheinlich irgendwann durch einen Erdrutsch entstanden war.
    Ungefähr acht Meter über Suúna ragte ein armlanger Eisenträger aus der Wand, darunter ein etwa ein Meter breites, zwei Meter hohes Loch. Früher hatte an dem Träger vermutlich ein Flaschenzug gehangen; irgendein einfacher Lastenaufzug, mit dem man Vorräte ins oberste Stockwerk des Klosters gezogen hatte, um sich die Arbeit zu ersparen, sie über x Treppen hinaufzuschleppen.
    Da das Kloster verlassen war, waren seine technischen Errungenschaften vermutlich den Weg allen herrenlosen Besitztums gegangen: Jemand hatte sich den Korb, das Seil und den Mechanismus unter den Nagel gerissen. Außer dem Loch in der Wand und dem Eisenträger war nichts zurückgeblieben, Irgendwo knackte etwas.
    Suúna zuckte zusammen. Ihr Kopf fuhr herum. Ihr Blick suchte die Umgebung ab. Dummerweise hatte sich gerade eine Wolke vor den Mond geschoben, sodass sie kaum etwas sah.
    Dafür hatte sie ein gutes Gehör. Das Knacken, das gerade eben an ihr Ohr gedrungen war, hatte kein Mensch erzeugt, sondern ein…
    GRUUUNZ!
    Oho, ging es in Suúnas Hirn. Wird Zeit, dass ich verschwinde.
    Sie hatte keine Lust, dem Tier zu begegnen; Wisaaun waren unberechenbar. Sie pirschte dicht an der Mauer entlang und warf ihr Lasso in die Luft. Treffer! Die Schlinge legte sich um den Eisenträger.
    Perfekt. Sie hätte zwar auch das Tor nehmen können, aber sie hätte bestimmt die ganze Nacht gebraucht, um das Fallgitter durchzufeilen. Außerdem hätte es zu viel Lärm gemacht.
    Suúna lebte gefährlich. Es lag in der Natur der Sache, dass man in diesen Zeiten nur alt wurde, wenn man durchtrainiert war: Sie glitt wie eine Schlange an dem Seil hoch. Als die acht Meter hinter ihr lagen, riskierte sie einen Blick. Sie hatte keine Höhenangst. Sie konnte hundert Meter über dem Boden über ein Brückengeländer laufen und dabei Wasser aus der Feldflasche trinken.
    Unter ihr rührte sich nichts. Das heißt, genau unter ihr rührte sich nichts. Etwas weiter bergab, auf halber Höhe zwischen Quais Dorf und dem Kloster sah sie etwas Helles – und dann eine Gestalt mit langem Haar. Sie huschte zwischen den Bäumen her.
    Aruula? Suúna lächelte. Es freute sie, dass die hübsche Schwarzhaarige mit dem wachen Blick ihr immerhin so weit zugetan war, dass sie sich Gedanken um ihr Wohlergehen machte.
    Wäre Aruulas Einstellung etwas weniger rechtschaffen gewesen, hätte sie vermutlich ihre beste Freundin werden können. Doch zum Glück hatte Suúna in letzter Sekunde erkannt, dass die angebliche Barbarin mehr Kultur in sich vereinigte als die meisten Offiziere ihres Vaters. Vom Abschaum der Hafenstädte Kellqu-Tuah und Yangonn ganz zu schweigen.
    Apropos Abschaum… Als Aruula zwischen den Bäumen verschwand, tauchten ein Stück unter dem Dorf vier Reiter auf.
    Sie saßen auf Moolees und ritten bergauf.
    Nadjibullah? Suúna fluchte leise. Dann konzentrierte sie sich auf ihr Vorhaben und schwang mit dem Seil, an dem sie hing, hin und her. Kurz darauf flog sie durch die Öffnung in einen Raum hinein. Ihre Füße trafen soliden Boden. Suúna blieb stehen und lauschte aufmerksam.
    Draußen: raschelnde Blätter.
    Drinnen: gedämpftes Poltern von Stiefeln.
    Suúna durchquerte den Raum. Die Sterne schenkten ihr zwar genügend Licht, doch für den Notfall hatte sie auch eine Fackel

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