1717 - Die Fratze der Angst
diesem Augenblick wurde die Tür mit einer heftigen Druckbewegung von außen her aufgestoßen.
Das Schleimmonster hatte freie Bahn. Der braune Kopf mit dem zerklüfteten Gesicht drückte sich zuerst in das Haus hinein, der schreckliche Körper folgte, und Xaver Prantl kam es vor, als würde sich ein Gebirge aus stinkendem Schleim auf ihn zu bewegen, um ihn mit seiner Masse zu ersticken …
***
»Kann ich nachkommen, John?«
Harrys Stimme erreichte mich, als ich mein rechtes Bein ausstreckte und einen Widerstand unter meinem Fuß spürte, denn ich hatte die Leiter hinter mich gelassen und den Boden erreicht.
»Ja, du kannst!«
»Und? Alles in Ordnung?«
»Bis hierher schon!«, rief ich nach oben.
»Dann mache ich mich auf die Socken.«
Ich trat zur Seite, um meinem deutschen Freund Platz zu schaffen, wenn er mich erreichte. Ich schaute dabei in die Höhe, hörte das leise Knarren des Metalls, doch das waren Geräusche, die ich kannte, denn ich hatte sie auch bei meinem Weg nach unten gehört.
Von einer Gefahr, in die wir uns begeben hätten, konnte nicht gesprochen werden. Das Einzige, was mir nicht passte, war die Umgebung selbst. Düster und auch stinkend, denn ich hatte längst bemerkt, dass hier jemand seinen Geruch hinterlassen hatte, der alles andere als normal war. Es stank nach Verwesung.
Harry stieg ebenfalls die Leiter herab, blieb neben mir stehen und rümpfte die Nase.
Dann sagte er: »Er war hier – oder?«
»Ja, er ist hier gewesen, und es gibt nur einen Weg, den er genommen haben kann.«
Harry fragte nicht danach, welchen ich meinte, denn ich leuchtete bereits in einen Gang oder Stollen hinein, dessen Seiten im hellen Schein feucht schimmerten.
»Okay, John, das ist der Weg. Schade, dass der Kollege nicht mehr bei uns ist. Der könnte uns gewiss sagen, wo er endet.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Das hier sieht nach einem Abwasserkanal aus, der allerdings schon leicht ausgetrocknet ist.«
Damit meinte ich den recht trockenen Boden. Wir brauchten nicht durch Schlamm zu waten.
Es bewegte sich niemand. Ich sah auch keine Ratten durch den Lichtschein huschen, und so gingen wir in eine Richtung weiter, wobei der Gestank, an den wir uns einfach nicht gewöhnen konnten, unser Begleiter war.
Hin und wieder hörte ich Harry schnaufen und sich darüber beschweren, dass ihm solch ein Job kaum jemand bezahlen konnte.
»Keine Sorge, du wirst es überstehen.« Ich leuchtete den Boden nach Spuren ab und es waren tatsächlich welche zu sehen. Eindrücke in der weichen Masse. Nicht unbedingt tief, aber trotzdem recht auffällig, was für uns nur gut sein konnte.
Harry Stahl blieb hinter mir. Er fluchte auch nicht mehr wegen des Gestanks, er hatte sich damit abgefunden.
In welche Richtung wir uns innerhalb des Gestanks bewegten, wussten wir nicht. Beide hofften wir nur, nicht in die Irre geführt zu werden oder dort zu landen, wo über unseren Köpfen der Friedhof war, der den Ghouls als Heimat diente und wo sie sich von Grab zu Grab einen Gang geschaffen hatten.
Das gab es. Für mich war es nicht nur Theorie. Ich hatte schon in solchen Gängen gelegen und gegen die schleimigen Monster gekämpft.
Noch etwas kam hinzu.
Die Luft wurde immer schlechter. Dabei kam es mir nicht nur auf den Gestank an, die Luft allgemein war mieser geworden, enthielt weniger Sauerstoff und war kaum zu atmen.
Ich hörte Harry hinter mir keuchen. Und dieses Geräusch war auch in seiner Stimme zu vernehmen, als er sagte: »Irgendwann pfeife ich auf den Kerl und gehe nicht mehr weiter.«
Ich gab ihm keine Antwort, leuchtete nach vorn – und sah vor mir etwas schimmern.
Es war ein Gegenstand, mit dem ich nicht im Traum gerechnet hätte. So etwas wie eine Reckstange befand sich unter der nicht eben hohen Decke.
»Ich denke, dass wir ein Ziel erreicht haben«, formulierte ich mit einer Flüsterstimme.
»Wo denn?«
»Schau selbst.«
Ich leuchtete die seltsame Reckstange an, aber nicht nur sie, der Strahl traf auch die Decke, in der sich etwas abmalte, wenn wir genauer hinschauten.
Es war ein Umriss. Ein Rechteck und heller als die Decke.
Plötzlich konnte Harry wieder lachen. Nur hörte es sich schon etwas komisch an, denn dazwischen musste er keuchen.
Diese ungewöhnliche Reckstange war schon wichtig. Wir mussten sie benutzen, um die Decke zu erreichen, denn sie wölbte sich regelrecht nach oben.
Warum das so war, brauchte uns nicht zu interessieren. Wichtig war allein der Weg nach oben, und ich glaubte
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