1738 - Der Dämonen-Dom
blutüberströmten Gesicht die Augen zu entdecken. Ich musste etwas Blut zur Seite wischen, und da sah ich sie dann und erkannte auch den Blick, der gebrochen war.
Ja, so sah ein Toter aus!
Ich richtete mich auf. Auch ohne, dass ich in den Spiegel schaute, wusste ich, wie mein Gesicht aussah. Es war hochrot angelaufen. Ich machte mir Vorwürfe, den Professor nicht zurückgehalten zu haben, aber das brachte mich auch nicht weiter.
Bill kam. Unter seinen Sohlen knirschte das Glas. Er blieb bei Leitner stehen, schaute sich um und schüttelte den Kopf.
»Ist er tot?«, rief Serena.
Ich antwortete mit leiser Stimme: »Ja, das ist er.«
Sie gab keinen weiteren Kommentar. Auch Sheila sagte nichts. Sie stand im Hintergrund und sah keinen Grund, zu uns zu kommen. Und dann gab es noch eine Person in unserer Nähe.
Justine Cavallo hockte in der Bank. Sie hatte von uns am meisten abbekommen. Einige Glassplitter in unterschiedlicher Größe hatten sie so getroffen, dass sie in ihrem Körper steckten. Die dünne Lederkleidung hatte ihr keinen Schutz geboten.
Auch durch die blonde Haarflut war ein Splitter gedrungen und hatte sich in ihren Kopf gebohrt. Der störte sie am meisten. Mit einer müde wirkenden Bewegung fasste sie ihn an und zog ihn aus dem Schädel hervor. Sie schleuderte das Glasteil in die Reihe hinein, wo es klirrend zerbrach. Weitere Glasteile zupfte sie aus ihrem Körper. Danach wandte sie sich an uns.
»Ich bin nicht verletzt. Ihr braucht euch nicht zu freuen, aber ich sage hier und jetzt, dass dieses Spiel sich fortsetzt. Die andere Seite schlägt zurück.«
»Und darauf freust du dich?«
»Ja, John Sinclair. Denn ich werde dabei sein.«
Es ging mir quer, ich hätte sie gern ausgeschaltet, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.
Sheila trat an mich heran. »Bleib bitte mal ruhig«, sagte sie. »Du hast noch einige Splitter in der Kleidung stecken. Nur recht kleine. Aber ich ziehe sie raus.«
»Danke.«
Wenig später merkte ich, dass die Splitter nicht nur in der Kleidung steckten, sondern auch in meinem Nacken. Das hatte ich gar nicht bemerkt. Erst als Sheila zwei von ihnen entfernte, verspürte ich den schwachen Schmerz oder das leichte Ziehen.
»Du blutest etwas.«
»Nicht schlimm, Sheila. Danke.«
»Okay.« Sie schnippte den letzten Splitter zu Boden und fragte mit leiser Stimme: »Kann mir einer von euch sagen, wie es weitergeht und was das alles hier bedeutet?«
»Noch nicht«, gab ich zu.
»Aber die Cavallo ist dabei. Dann hat das doch einen verdammten Grund. Oder nicht?«
»Der Grund kann Serena sein«, meinte Bill.
Die hatte zwar zugehört, sagte aber nichts und senkte den Kopf.
Meiner Ansicht nach hing es mit ihr zusammen und mit dieser entweihten Kirche, die als Dämonen-Dom bezeichnet worden war. Das nicht nur in alter Zeit, sondern auch jetzt. Er sah nicht so aus, als würde er noch von Menschen besucht, die hier eine Messe halten wollten. Diesen Bau hatte meiner Meinung nach die andere Seite übernommen.
Darüber konnte uns nur Serena Auskunft geben. Sie stand neben einer Bank und hielt sich an deren Oberteil fest. Das Gesicht war mit kleinen Blutflecken gesprenkelt. Es war das fremde Blut in ihr. Das einer Heiligen, wie sie uns erklärt hatte, und es gab für uns keinen Grund, ihr dies nicht zu glauben.
Sie sah mich auf sich zukommen und hob den Kopf.
Ich blieb stehen. Beide schauten wir uns in die Augen.
»Warum, Serena? Warum das alles?«
»Ich denke, dass es um mich geht. Ich war ja früher hier. In dieser alten Kirche habe ich geheilt und auch meine Visionen gehabt.«
»Visionen? Und? Kannst du mehr darüber sagen?«
»Es ist lange her, aber ich habe sie nicht vergessen. Ich war jemand, der genau wusste, dass es das Gute und das Böse gibt. Und dass dieses Böse alles daransetzt, das Gute zu vertreiben. So war es auch damals. Mein Blut konnte heilen, ich habe damit die Menschen wieder gesund gemacht, aber ich merkte auch, dass es gewissen Kräften nicht gefiel. Sie wollten meinen Platz. Sie wollten diese Kirche für sich haben. Dazu waren sie wild entschlossen und haben es auch geschafft, wie ich jetzt sehe. Nicht mehr zu meiner Zeit, doch nun muss ich leider sehen, was da passiert ist.« Sie hob die Schultern an. »Ich kann auch nichts mehr retten.«
»Moment mal«, unterbrach ich sie. »Du kannst nichts mehr retten. Was heißt das?«
»Ich glaube fest daran, dass ich deshalb hier bin. Dass alles eine Bestimmung war. Mein Erwachen aus diesem langen Schlaf.
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