18 Gänsehaut Stories
lebhafteste und schob sich beständig zwischen meinen Blick und die Seiten meiner Lektüre. Und je mehr ich den Vorfall bedachte, desto stärker ward meine Verwunderung. Das Kanu war ja von größerer Bauart gewesen denn irgendeines, das ich den Sommer über zu Gesicht bekommen, und hatte mit seinem hoch aufgebogenen Bug und Heck viel eher den alten, indianischen Kriegskanus geglichen. Auch war es ebenso breit gewesen wie sie. – Gleichviel, je mehr ich versuchte, mich auf meine Bücher zu konzentrieren, desto weniger Erfolg war mir beschieden. Schließlich klappte ich sie endgültig zu und trat auf die Veranda hinaus, um mir dort ein wenig Bewegung zu machen und das Kältegefühl aus meinen Knochen zu schütteln.
Die Nacht war vollkommen still und so dunkel, wie man sich’s nur vorstellen mochte. Ich stolperte den Fußpfad zu dem kleinen Anlegeplatz hinunter, wo das Wasser mit fast unhörbarem Glucksen von unten gegen die Bohlen der Landeplattform schlug. Weit drüben, schon jenseits des Sees in den Wäldern des Festlands, brach krachend ein alter Baumriese nieder, und sein ferner Fall weckte das Echo in der reglosen Nachtluft, und der Nachhall pflanzte sich weiter und fort – und war wie das erste Geplänkel einer ferne anhebenden, nächtlichen Attacke. Sonst war da nichts, die allgewaltige Stille zu stören.
Während ich noch auf der Plattform des Anlegeplatzes stand, inmitten der breiten Helle, die hinter mir aus den Fenstern des Tagraumes brach, sah ich ein zweites Kanu den überm Wasser sich verlierenden Lichtstreif durchqueren und sofort wieder in der undurchdringlichen Finsternis der anderen Seite verschwinden. Diesmal hatte ich es deutlicher gesehen: Es war von der nämlichen Bauart wie das erste gewesen, ein geräumiges Fahrzeug aus Birkenrinde mit stark überhöhtem Vorder- und Achterteil und mit breitem Kiel. Gerudert hatten zwei Indianer, von denen der hintere – der Steuerer – von ungewöhnlicher Körpergröße zu sein schien. Ich hatte das sehr klar unterscheiden können. Obschon aber das zweite Kanu so viel näher an der Insel vorbeigestrichen war als das erste, hielt ich doch dafür, daß beide sich auf dem Rückweg zu der Indianer-Reservation befanden, welche sich in einer Entfernung von etwa fünfzehn Meilen auf dem Festland erstreckte.
Ich stellte noch immer Vermutungen darüber an, was denn einen Indianer bewogen haben mochte, diesen Teil des Sees zu so später Stunde aufzusuchen, als ein drittes Kanu von genau derselben Bauart, und wie die andern von zwei Indianern gerudert, lautlos am Anlegeplatz vorüberstrich. Diesmal aber war das Fahrzeug viel näher gewesen, und so schoß mir plötzlich der Gedanke durch den Sinn, daß die vermeintlichen drei ja in Wahrheit ein und dasselbe waren – ein einziges Kanu, das die Insel umkreiste!
Diese Schlußfolgerung war keineswegs angenehm: Erwies sie sich wirklich als die zutreffende Erklärung für das ungewöhnliche Erscheinen dreier Kanus zu so später Stunde auf diesem abgelegenen Teil des Sees, so konnten die Absichten der beiden Ruderer vernünftigerweise nur mit meiner Person zusammenhängen. Zwar hatte ich noch nie gehört, daß die Indianer gegen Siedler, welche mit ihnen die weite, unwirtliche Einsamkeit dieser Landstriche teilten, gewaltsam vorgegangen wären, anderseits konnte man aber eine solche Möglichkeit nicht völlig ausschließen …
Indes, gleich danach schlug ich mir derlei unangenehme Erwägungen aus dem Kopf und suchte in meiner Einbildung nach allerhand anderen Lösungen des Problems, die mir denn auch nur zu eilfertig in den Sinn kamen, jedoch meiner unvoreingenommenen Betrachtung
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