18 Gänsehaut Stories
glühenden Auge, hockte das scheußliche Tier, dessen Gebaren mich zum Morde verleitet hatte und dessen verräterische Stimme mich jetzt dem Henker überlieferte.
Ich hatte das Ungeheuer mit in das Grab eingemauert.
In der Gruft
von
H. P. Lovecraft
Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), legendärer amerikanischer Chronist des Grauens, der in Providence, Long Island, das Leben eines Sonderlings führte, konnte zu seinen Lebzeiten nur ein einziges Buch veröffentlichen; seine Kurzgeschichten und Erzählungen erschienen in Magazinen, vor allem in der Zeitschrift »Weird Tales«. Lovecraft wurde erst nach seinem Tode berühmt, als seine unheimlichen Geschichten gesammelt zu erscheinen begannen und in viele Sprachen übersetzt wurden. Als in der von Kalju Kirde herausgegebenen »Bibliothek des Hauses Usher« die ersten Lovecraft-Bände erschienen, schrieb der Rezensent der »Kölnischen Rundschau« : »Was da aus den Schächten der Phantasie, aus den schwarzen Abgründen des Grauens auftaucht, wird mit exaktem, peniblem Realismus festgehalten, wie in der surrealistischen Malerei, die ihre Visionen mit naturalistischer Genauigkeit einfängt.«
Meiner Ansicht nach gibt es nichts Absurderes als die gedankliche Assoziation der Begriffe ländlich und lebensfroh, obwohl die Psychologie der breiten Masse seit jeher zu diesem Irrtum neigt. Berichtet man eine Begebenheit aus New England und erwähnt als Hauptperson den tolpatschigen Totengräber, dem durch seine Sorglosigkeit ein Mißgeschick in einer Gruft zustößt, dann erwartet der Durchschnittsleser wohl selten mehr als eine herzhafte Komödie. Aber Gott weiß, daß diese Geschichte, die ich jetzt nach George Birchs Hinscheiden erzählen kann, Aspekte aufweist, im Vergleich zu denen einige der bekannteren klassischen Tragödien fast harmlos wirken müssen.
Birch bat im Jahre 1881 plötzlich um seine Entlassung und gab seinen Beruf gänzlich auf, sprach aber niemals über die Gründe, die zu diesem Entschluß geführt hatten. Auch sein Hausarzt, Dr. Davis, der nun schon seit Jahren tot ist, bewahrte striktes Stillschweigen. Allgemein bekannt war nur, daß Birch Verletzungen und einen Schock erlitten hatte, als er neun Stunden in der Gruft des Friedhofs von Peck Valley zubringen mußte, bis er sich endlich selbst aus dieser mißlichen Lage befreien konnte. Die wahren Hintergründe dieser Geschichte erfuhr ich erst von Birch persönlich während der häufigen Krankenbesuche, die ich ihm in den letzten Wochen vor seinem Tod abstattete. Er hatte Vertrauen zu mir, weil ich sein Arzt war, vielleicht aber auch nur, weil er sich mit niemandem mehr aussprechen konnte, nachdem Dr. Davis gestorben war. Birch war Junggeselle geblieben und besaß keine Verwandten.
Bis zum Jahre 1881 hatte Birch das Amt des Totengräbers von Peck Valley ausgeübt und war selbst für diesen Menschenschlag ungewöhnlich abgebrüht. Seine Arbeitsweise muß für unsere Verhältnisse geradezu unglaublich erscheinen, und die biederen Bürger von Peck Valley wären vermutlich entsetzt gewesen, hätten sie je erfahren, wie weitherzig dieser Mann den Eigentumsbegriff auslegte, wenn es sich um Wertgegenstände handelte, die ohnehin nicht mehr sichtbar waren, nachdem der Sargdeckel sich über den Toten geschlossen hatte. Dazu kam noch, daß Birch keine langen Umstände zu machen pflegte, wenn einmal eine Leiche nicht in den Sarg paßte, bei dessen Herstellung er es an der nötigen Sorgfalt hatte fehlen lassen. Er war verantwortungslos, roh und für seine Stellung denkbar ungeeignet, aber trotzdem glaubte ich nicht, daß er von Grund auf schlecht
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