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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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wirk­te es ver­zerrt und fremd – es war ein Lä­cheln, das nicht zu ih­rem Ge­sicht zu ge­hö­ren schi­en.
    Nun ja, dach­te sie, die­ser gan­ze Um­zug war doch recht an­stren­gend. Dann fuhr sie sich ener­gisch mit der Bürs­te durch die Haa­re und ver­bann­te je­den ab­we­gi­gen Ge­dan­ken.
    Trotz­dem at­me­te sie er­leich­tert auf, als er plötz­lich das Schlaf­zim­mer be­trat. Im ers­ten Au­gen­blick woll­te sie es ihm er­zäh­len, aber dann über­leg­te sie es sich an­ders. Sie woll­te ihn mit ih­ren »Ner­ven« nicht be­un­ru­hi­gen.
    Er hin­ge­gen war nicht so schweig­sam.
    Er kam am nächs­ten Mor­gen aus dem Ba­de­zim­mer ge­stürmt. Sei­ne lin­ke Wan­ge blu­te­te; und er fuch­tel­te mit dem Ra­sier­ap­pa­rat her­um.
    »Was soll der Quatsch?« frag­te er ver­drieß­lich. »Warum schleichst du hin­ter mir her und er­schreckst mich im Spie­gel? Schau dir an, wie ich mich ge­schnit­ten ha­be! Ich fin­de das über­haupt nicht lus­tig!«
    Sie lag noch im Bett und setz­te sich bei sei­nen Wor­ten ruck­ar­tig auf.
    »Aber Schatz, wie soll ich dich er­schreckt ha­ben?« frag­te sie ver­schla­fen. Dann fuhr sie leb­haf­ter fort: »Ich ha­be mein Bett über­haupt noch nicht ver­las­sen.«
    »Nein?« Er hob er­staunt die Au­gen­brau­en. Nach­dem er of­fen­sicht­lich kur­ze Zeit an­ge­strengt nach­ge­dacht hat­te, war auf sei­nem Ge­sicht ein be­stürz­ter Aus­druck. »Na ja«, brumm­te er.
    »Was, ›na ja‹?« Sie hat­te die De­cke bei­sei­te ge­schleu­dert und saß auf der Bett­kan­te. Wäh­rend ih­re Fü­ße au­to­ma­tisch nach den Pan­tof­feln an­gel­ten, schau­te sie ihn ge­spannt an. »Was ›na ja‹?« wie­der­hol­te sie.
    »Ach nichts«, mur­mel­te er, »gar nichts. Als ich beim Ra­sie­ren in den Spie­gel guck­te, hat­te ich nur das Ge­fühl, daß du – oder sonst ir­gend je­mand – mir über die Schul­ter siehst. Und zwar ganz plötz­lich, ver­stehst du? Das muß wohl an den ver­damm­ten Lam­pen lie­gen. Ich wer­de gleich heu­te neue Bir­nen be­sor­gen.«
    Er tupf­te sich mit dem Hand­tuch das Blut von der Wan­ge und dreh­te sich um.
    Sie hol­te tief Luft. »Ich hat­te ges­tern abend das­sel­be Ge­fühl«, sag­te sie dann und biß sich so­fort är­ger­lich auf die Lip­pen.
    »Was sagst du da?«
    Sie nick­te. »Ja, ja –« Dann fuhr sie has­tig fort. »Es muß an den Lam­pen lie­gen. Du hast recht – es muß ganz be­stimmt an den Lam­pen lie­gen.«
    Er starr­te ge­dan­ken­ver­lo­ren vor sich hin. Dann räus­per­te er sich ge­räusch­voll.
    »Nun ja – was soll­te es auch sonst sein? – Ich wer­de die neu­en Bir­nen be­stimmt nicht ver­ges­sen.«
    « Das ist gut.« Sie nick­te eif­rig. »Bei der Ein­wei­hungs­par­ty am Sonn­abend muß al­les in Ord­nung sein.«
    Aber es war noch lan­ge nicht Sonn­abend. Bis da­hin ge­sch­a­hen noch ei­ni­ge Din­ge, die sie mehr ver­wirr­ten, als sie sich ge­gen­sei­tig ein­ge­stan­den ha­ben wür­den.
    Als er am nächs­ten Mor­gen zur Ar­beit ge­fah­ren war, mach­te sie sich dar­an, den Gar­ten zu un­ter­su­chen. Der An­blick war al­les an­de­re als er­freu­lich. Der große Gar­ten glich ei­nem ver­wahr­los­ten Acker mit dunklen Bäu­men, die ei­ne dro­hen­de Hal­tung ein­zu­neh­men schie­nen. Der Herbst­wind wir­bel­te die to­ten Blät­ter um das al­te Haus. Sie stand auf ei­ner klei­nen An­hö­he und schau­te nach­denk­lich auf die fins­te­ren Haus­gie­bel aus ei­nem an­de­ren Jahr­hun­dert.
    Das ei­gen­ar­ti­ge Ge­fühl, das sie be­schlich, hat­te nichts da­mit zu tun, daß weit und breit kei­ne Men­schen­see­le war und das Haus des nächs­ten Nach­barn ei­ne hal­be Mei­le ent­fernt an der ein­sa­men schmut­zi­gen Stra­ße lag. Sie kam sich auf ein­mal wie ein un­er­wünsch­ter Ein­dring­ling vor – ein Ein­dring­ling in die Ver­gan­gen­heit. Der kal­te Wind, die ster­ben­den Bäu­me und der fins­te­re Him­mel wa­ren will­kom­men – sie ge­hör­ten zum Haus. Sie war der Au­ßen­sei­ter. Weil sie jung war. Weil sie leb­te.
    Das al­les fühl­te sie mehr, als daß sie es dach­te. So­lan­ge sich ihr Ver­stand ge­gen die­se Ge­dan­ken sträub­te, konn­te auch kei­ne Angst bei ihr auf­kom­men. Die Angst, al­lei­ne zu sein,

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