18 Gänsehaut Stories
wirkte es verzerrt und fremd – es war ein Lächeln, das nicht zu ihrem Gesicht zu gehören schien.
Nun ja, dachte sie, dieser ganze Umzug war doch recht anstrengend. Dann fuhr sie sich energisch mit der Bürste durch die Haare und verbannte jeden abwegigen Gedanken.
Trotzdem atmete sie erleichtert auf, als er plötzlich das Schlafzimmer betrat. Im ersten Augenblick wollte sie es ihm erzählen, aber dann überlegte sie es sich anders. Sie wollte ihn mit ihren »Nerven« nicht beunruhigen.
Er hingegen war nicht so schweigsam.
Er kam am nächsten Morgen aus dem Badezimmer gestürmt. Seine linke Wange blutete; und er fuchtelte mit dem Rasierapparat herum.
»Was soll der Quatsch?« fragte er verdrießlich. »Warum schleichst du hinter mir her und erschreckst mich im Spiegel? Schau dir an, wie ich mich geschnitten habe! Ich finde das überhaupt nicht lustig!«
Sie lag noch im Bett und setzte sich bei seinen Worten ruckartig auf.
»Aber Schatz, wie soll ich dich erschreckt haben?« fragte sie verschlafen. Dann fuhr sie lebhafter fort: »Ich habe mein Bett überhaupt noch nicht verlassen.«
»Nein?« Er hob erstaunt die Augenbrauen. Nachdem er offensichtlich kurze Zeit angestrengt nachgedacht hatte, war auf seinem Gesicht ein bestürzter Ausdruck. »Na ja«, brummte er.
»Was, ›na ja‹?« Sie hatte die Decke beiseite geschleudert und saß auf der Bettkante. Während ihre Füße automatisch nach den Pantoffeln angelten, schaute sie ihn gespannt an. »Was ›na ja‹?« wiederholte sie.
»Ach nichts«, murmelte er, »gar nichts. Als ich beim Rasieren in den Spiegel guckte, hatte ich nur das Gefühl, daß du – oder sonst irgend jemand – mir über die Schulter siehst. Und zwar ganz plötzlich, verstehst du? Das muß wohl an den verdammten Lampen liegen. Ich werde gleich heute neue Birnen besorgen.«
Er tupfte sich mit dem Handtuch das Blut von der Wange und drehte sich um.
Sie holte tief Luft. »Ich hatte gestern abend dasselbe Gefühl«, sagte sie dann und biß sich sofort ärgerlich auf die Lippen.
»Was sagst du da?«
Sie nickte. »Ja, ja –« Dann fuhr sie hastig fort. »Es muß an den Lampen liegen. Du hast recht – es muß ganz bestimmt an den Lampen liegen.«
Er starrte gedankenverloren vor sich hin. Dann räusperte er sich geräuschvoll.
»Nun ja – was sollte es auch sonst sein? – Ich werde die neuen Birnen bestimmt nicht vergessen.«
« Das ist gut.« Sie nickte eifrig. »Bei der Einweihungsparty am Sonnabend muß alles in Ordnung sein.«
Aber es war noch lange nicht Sonnabend. Bis dahin geschahen noch einige Dinge, die sie mehr verwirrten, als sie sich gegenseitig eingestanden haben würden.
Als er am nächsten Morgen zur Arbeit gefahren war, machte sie sich daran, den Garten zu untersuchen. Der Anblick war alles andere als erfreulich. Der große Garten glich einem verwahrlosten Acker mit dunklen Bäumen, die eine drohende Haltung einzunehmen schienen. Der Herbstwind wirbelte die toten Blätter um das alte Haus. Sie stand auf einer kleinen Anhöhe und schaute nachdenklich auf die finsteren Hausgiebel aus einem anderen Jahrhundert.
Das eigenartige Gefühl, das sie beschlich, hatte nichts damit zu tun, daß weit und breit keine Menschenseele war und das Haus des nächsten Nachbarn eine halbe Meile entfernt an der einsamen schmutzigen Straße lag. Sie kam sich auf einmal wie ein unerwünschter Eindringling vor – ein Eindringling in die Vergangenheit. Der kalte Wind, die sterbenden Bäume und der finstere Himmel waren willkommen – sie gehörten zum Haus. Sie war der Außenseiter. Weil sie jung war. Weil sie lebte.
Das alles fühlte sie mehr, als daß sie es dachte. Solange sich ihr Verstand gegen diese Gedanken sträubte, konnte auch keine Angst bei ihr aufkommen. Die Angst, alleine zu sein,
Weitere Kostenlose Bücher