18 Geisterstories
Wohnung Rosens. Mein Begleiter nahm mir das Pferd ab, ich betrat das geräumige, einen Gutshof abschließende Gebäude. Im Flur, dessen Wände allerlei Beutestücke eines Jägers, Elchköpfe und Hirschgeweihe schmückten, erwartete mich ein älterer Diener und geleitete mich durch mehrere Zimmer nach dem Wohnraum des Besitzers. Dann zog er sich schweigend zurück.
Ein hagerer Herr erhob sich mühelos aus einem bequemen Stuhl, der neben einem auffallend großen Kamin stand, und reichte mir mit starkem Druck die Hand. Freudiges Lächeln glitt über seine nicht unschönen Züge. Er lud mich zum Sitzen ein und dankte mir für mein rasches Eintreffen. Dann sagte er:
»Ich fühlte mich vor einer Weile nicht ganz wohl, aber jetzt geht es mir schon besser.«
Unter diesen Worten ging er an die beiden Türen des Zimmers, von denen die eine nach dem Ende des Flurs führte, verschloß sie von innen und steckte die Schlüssel in die Tasche. Dann erst nahm er mir gegenüber Platz.
Ich sah meinen Patienten forschend an, er schien mir nicht leidend zu sein, seine Gestalt war trotz der sechzig Jahre, die ich ihm gab, hoch und kräftig, seine Bewegungen hatten nichts Krankes oder Schlaffes. Auch für geistig gestört konnte ich ihn nicht halten. Er sprach, ohne auf seinen Brief anzuspielen, in ruhigem Ton über die verschiedensten Dinge, über Politik und dergleichen. Seine Krankheit zu berühren, schien ihm peinlich zu sein, und so vermied zunächst auch ich es, danach zu fragen.
Mittlerweile war die Nacht gekommen. Der Wind hatte sich schlafen gelegt, nur manchmal regte er sich ganz leise mit einem seufzenden Ton in der Ferne der Wälder. Im Zimmer war es still, denn unsere Unterhaltung wurde, ich weiß nicht warum, wie auf gemeinsame Verabredung halblaut geführt, nur die alte Uhr auf dem Kamin tickte eintönig, mit dumpfem, metallenem Klang.
Rosen erhob sich, steckte alle Lichter und Lampen im Zimmer an und verteilte sie so, daß sie es bis in die entlegensten Ecken erhellten. Dann setzte er sich wieder zu mir.
Wir plauderten über die Freiheiten der Bauern und deren Nutzen oder Schaden für die Entwicklung des benachbarten russischen Staates, und mein Patient zeigte eine Sachkenntnis und einen Scharfblick, wie man sie bei einem wirklich geisteskranken Menschen sicher nicht gefunden hätte.
Da begann die Standuhr auf dem Kamin eine Stunde zu schlagen. Ich achtete nicht weiter darauf, folgte ich doch gerade den Ausführungen meines Gegenübers.
Rosen aber unterbrach sich mitten in seiner Rede, warf einen raschen Blick auf den Zeiger und zählte die Schläge der Glocke. Es waren acht. Da lehnte er sich in den Stuhl zurück und brummte vor sich hin:
»Erst acht Uhr. Es kommt noch nicht.«
Dann griff er den Faden der Unterhaltung wieder auf, wo er ihn fallen gelassen hatte, ohne sein Tun zu entschuldigen oder zu erklären. Meine Frage, ob er noch irgendeine Nachricht oder einen Besuch heute abend erwarte, schien er mit Absicht zu überhören, denn er fuhr fort, über Politik und soziale Verhältnisse zu sprechen.
Eine Stunde darauf wiederholte sich dasselbe Schauspiel. Als die Uhr zu schlagen begann, langsam und keuchend, als wolle ihr der Atem ausgehn, hielt Rosen in seiner Rede inne. Er ließ die brennende Zigarre aus der Hand in den Aschenbecher fallen, heftete den Blick auf das Zifferblatt und zählte die einzelnen neun Glockenschläge. Dann erhob er sich, ging noch einmal durch das Zimmer, versicherte sich von neuem, daß die Türen und Fenster fest verschlossen seien, und raunte, indem er wieder zu mir trat:
»Noch nicht. Wir müssen warten.«
Aus seinen Worten und seinem Tun sprach heimliche Angst. Er rückte seinen Stuhl näher an den meinen, doch noch immer gab er keine Erklärung seines
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