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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Woh­nung Ro­sens. Mein Be­glei­ter nahm mir das Pferd ab, ich be­trat das ge­räu­mi­ge, einen Guts­hof ab­schlie­ßen­de Ge­bäu­de. Im Flur, des­sen Wän­de al­ler­lei Beu­te­stücke ei­nes Jä­gers, Elch­köp­fe und Hirsch­ge­wei­he schmück­ten, er­war­te­te mich ein äl­te­rer Die­ner und ge­lei­te­te mich durch meh­re­re Zim­mer nach dem Wohn­raum des Be­sit­zers. Dann zog er sich schwei­gend zu­rück.
    Ein ha­ge­rer Herr er­hob sich mü­he­los aus ei­nem be­que­men Stuhl, der ne­ben ei­nem auf­fal­lend großen Ka­min stand, und reich­te mir mit star­kem Druck die Hand. Freu­di­ges Lä­cheln glitt über sei­ne nicht un­schö­nen Zü­ge. Er lud mich zum Sit­zen ein und dank­te mir für mein ra­sches Ein­tref­fen. Dann sag­te er:
    »Ich fühl­te mich vor ei­ner Wei­le nicht ganz wohl, aber jetzt geht es mir schon bes­ser.«
    Un­ter die­sen Wor­ten ging er an die bei­den Tü­ren des Zim­mers, von de­nen die ei­ne nach dem En­de des Flurs führ­te, ver­schloß sie von in­nen und steck­te die Schlüs­sel in die Ta­sche. Dann erst nahm er mir ge­gen­über Platz.
    Ich sah mei­nen Pa­ti­en­ten for­schend an, er schi­en mir nicht lei­dend zu sein, sei­ne Ge­stalt war trotz der sech­zig Jah­re, die ich ihm gab, hoch und kräf­tig, sei­ne Be­we­gun­gen hat­ten nichts Kran­kes oder Schlaf­fes. Auch für geis­tig ge­stört konn­te ich ihn nicht hal­ten. Er sprach, oh­ne auf sei­nen Brief an­zu­spie­len, in ru­hi­gem Ton über die ver­schie­dens­ten Din­ge, über Po­li­tik und der­glei­chen. Sei­ne Krank­heit zu be­rüh­ren, schi­en ihm pein­lich zu sein, und so ver­mied zu­nächst auch ich es, da­nach zu fra­gen.
    Mitt­ler­wei­le war die Nacht ge­kom­men. Der Wind hat­te sich schla­fen ge­legt, nur manch­mal reg­te er sich ganz lei­se mit ei­nem seuf­zen­den Ton in der Fer­ne der Wäl­der. Im Zim­mer war es still, denn un­se­re Un­ter­hal­tung wur­de, ich weiß nicht warum, wie auf ge­mein­sa­me Ver­ab­re­dung halb­laut ge­führt, nur die al­te Uhr auf dem Ka­min tick­te ein­tö­nig, mit dump­fem, me­tal­le­nem Klang.
    Ro­sen er­hob sich, steck­te al­le Lich­ter und Lam­pen im Zim­mer an und ver­teil­te sie so, daß sie es bis in die ent­le­gens­ten Ecken er­hell­ten. Dann setz­te er sich wie­der zu mir.
    Wir plau­der­ten über die Frei­hei­ten der Bau­ern und de­ren Nut­zen oder Scha­den für die Ent­wick­lung des be­nach­bar­ten rus­si­schen Staa­tes, und mein Pa­ti­ent zeig­te ei­ne Sach­kennt­nis und einen Scharf­blick, wie man sie bei ei­nem wirk­lich geis­tes­kran­ken Men­schen si­cher nicht ge­fun­den hät­te.
    Da be­gann die Stand­uhr auf dem Ka­min ei­ne Stun­de zu schla­gen. Ich ach­te­te nicht wei­ter dar­auf, folg­te ich doch ge­ra­de den Aus­füh­run­gen mei­nes Ge­gen­übers.
    Ro­sen aber un­ter­brach sich mit­ten in sei­ner Re­de, warf einen ra­schen Blick auf den Zei­ger und zähl­te die Schlä­ge der Glo­cke. Es wa­ren acht. Da lehn­te er sich in den Stuhl zu­rück und brumm­te vor sich hin:
    »Erst acht Uhr. Es kommt noch nicht.«
    Dann griff er den Fa­den der Un­ter­hal­tung wie­der auf, wo er ihn fal­len ge­las­sen hat­te, oh­ne sein Tun zu ent­schul­di­gen oder zu er­klä­ren. Mei­ne Fra­ge, ob er noch ir­gend­ei­ne Nach­richt oder einen Be­such heu­te abend er­war­te, schi­en er mit Ab­sicht zu über­hö­ren, denn er fuhr fort, über Po­li­tik und so­zia­le Ver­hält­nis­se zu spre­chen.
    Ei­ne Stun­de dar­auf wie­der­hol­te sich das­sel­be Schau­spiel. Als die Uhr zu schla­gen be­gann, lang­sam und keu­chend, als wol­le ihr der Atem aus­gehn, hielt Ro­sen in sei­ner Re­de in­ne. Er ließ die bren­nen­de Zi­gar­re aus der Hand in den Aschen­be­cher fal­len, hef­te­te den Blick auf das Zif­fer­blatt und zähl­te die ein­zel­nen neun Glo­cken­schlä­ge. Dann er­hob er sich, ging noch ein­mal durch das Zim­mer, ver­si­cher­te sich von neu­em, daß die Tü­ren und Fens­ter fest ver­schlos­sen sei­en, und raun­te, in­dem er wie­der zu mir trat:
    »Noch nicht. Wir müs­sen war­ten.«
    Aus sei­nen Wor­ten und sei­nem Tun sprach heim­li­che Angst. Er rück­te sei­nen Stuhl nä­her an den mei­nen, doch noch im­mer gab er kei­ne Er­klä­rung sei­nes

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