18 Geisterstories
ihren Namen rufen hören – aber aus weiter Ferne und wie von einer erstickten, schmerzbewegten Stimme ausgestoßen … An den Fensterscheiben heulte der Sturm …
»Es wird der Wind gewesen sein!« sagte sie und legte ihre Hand aufs Herz, um es zu beruhigen. Aber ihr Herz pochte mit jedem Augenblick heftiger … Mit einem schrillen, langgezogenen Kreischen drehte sich die lärchene Türe zum Betzimmer in den Angeln …
Und nun knarrte und knackte eine Tür nach der andern – alle Türen, die in ihre Gemächer führten, nach der Reihe – die einen dumpf und ernst, die anderen schrill und kläg lich. Dann wieder tiefes Schweigen – aber ein Schweigen, angefüllt mit seltsamen Geräuschen, das Schweigen der Mitternacht: mit dem eintönigen Gemurmel des nahen Baches, fernem Hundegebell, verworrenen Stimmen, unverständlichen Worten, dem Widerhall von Schritten, die näher kommen und sich wieder entfernen, dem Rascheln von langen, über den Boden schleifenden Kleidern, unterdrückten Seufzern, keuchendem, fast zu verspürendem Atem … so daß man unwillkürlich zusammenfährt, wie vor einem Etwas, das man in der Dunkelheit nicht sieht und doch spürt, wie es näher und näher kommt.
Zitternd schob Beatrix den Kopf durch die Vorhänge, einen Augenblick regungslos lauschend. Sie vernahm tausenderlei Laute – strich sie sich aber mit der Hand über die Stirn und lauschte noch einmal: nichts, Totenstille …
Und sie sah, wie sich überall Gestalten bewegten, hierhin, dorthin – aber ihr Blick war von jenem phosphorischen Glanz geblendet, der sich in erregtem Zustande einstellt. Sobald sie die Augen aufriß und sie auf einen bestimmten Punkt richtete, war nichts mehr da, nur Finsternis, undurchdringliches Dunkel!
»Ach was!« rief sie und legte ihren schönen Kopf wieder aufs blaue Atlaskissen, »bin ich denn auch schon so bange wie all diese armen Kerle hier, denen das Herz im Wamse vor Entsetzen klopft, wenn sie nur eine Gespenstergeschichte hören?!«
Sie schloß die Augen und versuchte wieder einzuschlafen. Aber umsonst war all ihr Mühen, über sich Gewalt zu bekommen. Es währte nicht lange, so fuhr sie schon wieder empor – bleicher, erregter, geängstigter als vordem … denn jetzt war es keine Täuschung mehr: die Brokatvorhänge an der Tür hatten sich deutlich hörbar bewegt, wie wenn sie auseinandergeschlagen worden wären … und nun vernahm sie auch ein langsames Tappen von Schritten auf dem Teppich … Kaum vernehmbar, so dumpf war der Hall der Schritte – aber es dauerte an … und bei jedem Schritt knackte etwas mit … wie Holz … oder … oder wie Knochen … Und sie kamen näher … immer näher … da – das Betpult neben ihrem Bett hatte sich bewegt!! Beatrix stieß einen schrillen Schrei aus, wickelte sich bis über die Ohren in die Bettdecke ein und wagte nicht mehr zu atmen …
Der Wind rüttelte an den Balkontüren, daß die Fensterscheiben klirrten. Das Wasser des nahen Brunnens fiel unaufhaltsam in den Trog, immer mit dem gleichen eintönigen Plätschern. Anschwellend mit jedem Windstoß wurde das Hundegebell hörbar. Und all die Glocken der Stadt Soria, die einen näher, die anderen ferner, läuteten klagend für das Seelenheil der Verstorbenen.
So verfloß eine Stunde nach der anderen, die Nacht – ach, ein ganzes Jahrhundert ging hin! Denn wie eine Ewigkeit erschien Beatrix diese eine Nacht. Endlich graute der Morgen. Allmählich überwand sie ihre Furchtsamkeit und blinzelte den ersten Sonnenstrahlen entgegen.
Wie schön ist doch nach einer schlaflosen, angstgequälten Nacht das helle, weiße Tageslicht! Sie schlug die seidenen Bettvorhänge auseinander und wollte schon über den ausgestandenen Schrecken lachen, als sie plötzlich die
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