18 Geisterstories
… hast es ja tausendmal schon gehört: in der Stadt, in ganz Kastilien werde ich der König der Jäger genannt. Da ich, wie alle meine Vorfahren, noch nicht meine Kräfte im Kampf habe erproben können, so hab’ ich dieser Vergnügung, als dem Abbild des Krieges, das ganze Ungestüm meiner Jugend, das ganze erprobte Feuer meiner Rasse entgegengebracht. Die Felle, auf die dein Fuß tritt, sind Jagdtrophäen und stammen von wilden Tieren, die ich mit eigener Hand erlegte. Ich kenne ihre Schlupfwinkel, ihre Gewohnheiten. Am Tage und in der Nacht, zu Fuß und zu Roß, allein auf dem Pirschgang und gemeinsam bei der Treibjagd, hab’ ich mit ihnen gekämpft, und niemand wird sagen, daß er mich bei irgendeiner Gelegenheit eine Gefahr fliehen sah! In jeder andern Nacht würde ich fliegen, dir die Schärpe zurückzubringen, – ich würde mit Freuden fliegen wie zu einem Fest! – Aber heute nacht … wozu es leugnen! heute nacht hab’ ich Furcht … Hörst du die Glocken. In Sankt Johannis am Duero haben sie das Avemaria geläutet, und nun werden die Geister mit ihren gelben Schädeln aus dem Gebüsch auftauchen, das ihre Gebeine bedeckt … Die Geister! Bei ihrem bloßen Anblick gefriert dem Mutigsten vor Entsetzen das Blut im Leibe und sein Haar erbleicht … Oder sie reißen ihn in den Wirbel ihrer rasenden Jagd, wie ein Blatt, das der Wind entführt, wer weiß wohin.«
Während der Junker dies sprach, spielte fast unmerklich ein Lächeln um Beatrix’ Lippen, und als er geendet hatte, sagte sie in gleichgültigem Ton – und stocherte dabei im Kaminfeuer, wo, in tausendfarbigen Funken sprühend, das Holz knackte und knisterte:
»O nein! Wegen einer solchen Kleinigkeit jetzt in die Berge gehen zu wollen. Auf keinen Fall! Welch ein Wahnsinn! In einer so düstern Nacht … in der Allerseelennacht … und wo es auf allen Wegen von Wölfen wimmelt!«
Den letzten Worten gab sie eine so eigentümliche Färbung, daß Alfons die ganze bittere Ironie begreifen mußte. Wie aus einer Armbrust geschossen, schnellte er vom Sessel auf. Fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er die Furcht verscheuchen, die ihm im Hirn saß und nicht im Herzen, und sagte dann mit fester Stimme zu der Schönen, die noch immer vornübergebeugt saß, im Feuer herumstochernd:
»Leb’ wohl, Beatrix, leb’ wohl! … Bis auf später!«
»Alfons! Alfons!« rief diese da, sich rasch umwendend. Aber als sie ihn zurückhalten wollte oder sich dazu den Anschein gab, war der Junker schon fort.
Wenige Minuten darauf vernahm man den Hufschlag eines Pferdes, das sich im Galopp entfernte. Mit geröteten Wangen und einem strahlenden Ausdruck befriedigten Stolzes lauschte die Schöne aufmerksam jenem Getrappel, das, schwächer und schwächer werdend, allmählich verhallte.
Die Matronen erzählten sich immer noch ihre Gespenstergeschichten. Und der Wind rüttelte an den Balkontüren, und fern in der Stadt läuteten die Glocken …
Eine Stunde nach der anderen verstrich. Mitternacht war nahe, und Beatrix zog sich in ihr Betzimmer zurück. Alfons kam und kam nicht wieder, obwohl er in weniger als einer Stunde hätte zurück sein müssen!
»Er wird Angst gehabt haben!« sagte das Fräulein, als sie das Gebetbuch schloß und in das Schlafgemach trat. Umsonst hatte sie Ruhe in den Gebeten gesucht, welche die Kirche an diesem Tage für das Seelenheil der Verstorbenen vorschreibt.
Sie löschte die Lampe, zog die seidenen Bettvorhänge zusammen und legte sich schlafen. Und sie fiel in einen unruhigen, leichten und quälenden Schlummer.
Vom Tor her schlug es Mitternacht. Im Schlaf hörte Beatrix den Klang der Glocke, schwer und dumpf und unsäglich traurig … Sie öffnete die Augen. Es war ihr, als hätte sie gleichzeitig
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