1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
unbeschreiblich schön?«
»Aber auch unbeschreiblich beängstigend«, antwortete diese und schöpfte tief Atem.
Ludwig, der einzige, der die Oper kannte und Kunstbildung genug besaß, um die hinreißende Darstellung nicht mit dem Werte des Werkes zu verwechseln, sprach sich mehr beurteilend als bewundernd gegen die Gräfin aus. Diese, durch ihre Jahre schon über die Macht unmittelbarer Gefühlseindrücke hinaus, hörte ihm gern zu, wie sie denn überhaupt seinem verständig ernsten Wesen einen großen Anteil schenkte. Auch Lodoiska ließ sich gern aus ihrer gereizten, fast beklemmenden Stimmung in die des ruhigern Genießens hinüberleiten und war nicht erzürnt, als Ludwig ihr durch sein besonnenes Urteil manche Täuschung über die Schönheit des Kunstwerks nahm. Nur Jaromir zeigte sich fast unwillig, daß an dem, was seine junge Brust so mächtig ergriffen hatte, irgend etwas Mangelhaftes oder gar Unschönes haften sollte. Er hatte bis jetzt der Kunst so entfernt gestanden, sich so vielfach mit den rauhen Stoffen des äußerlichsten Lebens umhergeschlagen, daß diese ersten Strahlen und Klänge aus einer ihm noch unbekannten schönern Welt ihm natürlich als etwas erscheinen mußten, das durch nichts übertroffen werden könne.
Der zweite Akt begann, und schon dieser zeigte dem Unerfahrenen, daß er noch lange nicht an der Grenze des Erreichbaren gestanden hatte, denn der Anteil steigerte sich bedeutend. Vollends aber der Schluß des Werkes, mit seiner tiefen Wehmut der Freude, seinem weinenden Jubel, drohte die jungen liebenden Herzen fast zu überfluten durch die wogende Aufregung aller Gefühle. Alisette war aber auch so schön, so rührend, so verklärt in der Freude, daß sie selbst für den bewußt genießenden Ludwig das Kunstwerk aus den niedern Regionen, in welchen es mit seinen weichlich matten Flügeln schwebt, in eine reine Höhe frischer, göttlich erquickender Lüfte hob, wo es freie Fittiche im Sonnenglanze entfaltete.
Lodoiska war bis in die tiefste Seele bewegt, aber nicht beseligend; unklar, aber ebendeshalb durch unheimliche, gestaltlose Gegenwart ängstigend, regte sich das bange Gefühl in ihr, als vermöge sie nicht mit dieser mächtigen Zauberin, welche sie selbst so wider Willen hinriß, in den Kampf zu treten. Wie sollte sie den Geliebten fesseln, wenn jene ihre lockenden Netze ausbreitete, ihre süß verführende Stimme ertönen ließ, die weichen, zarten Arme öffnete? Sie dachte dies zwar nicht bestimmt, allein das demütigende Gefühl der Armut und Schwäche, welches edlere Seelen so leicht bei großen Bewegungen des Lebens oder der Kunst ergreift, weil sie ihren eigenen hohen Wert verkennen, drang in ihre Brust. Wer bin ich, dachte sie, um mit meiner Liebe das Dasein des Freundes zu erfüllen in einer Welt, die so unendlich Schöneres bietet? O du Holde, verkanntest du es denn, daß ein lauteres Herz der reinste Demant ist, um das eigene und das fremde Leben zu schmücken? Nur der Verblendete geht achtlos an diesem Kleinod vorüber, nur der Betörte wirft es von sich. Doch wie vielen legt ein zürnender Gott die düstere Binde über das Auge, daß sie im ewigen Dunkel durch das Leben irren und das Heil nicht finden, wenn es die offenen Arme vor ihnen ausbreitet!
Achtes Kapitel.
Die Gräfin und Lodoiska fuhren, von Regnard begleitet, nach Hause, die drei jungen Männer gingen und trafen demnach etwas später ein. Als sie die große Treppe hinaufstiegen, kam ihnen die Gräfin mit einem seltsamen, aber sehr freudigen Lächeln entgegen. »Nicht in den Speisesaal,« sprach sie, »folgen Sie mir zuvor noch ins Gesellschaftszimmer, denn die Tafel ist noch nicht vollständig gedeckt.« Unbefangen gehorchten die Freunde dem Gebote der Gräfin. Es war niemand im Zimmer als der Oberst. »Lodoiska,« sprach die Gräfin, »kleidet sich um, und wir werden auch noch etwas warten müssen, weil die liebenswürdige Alisette versprochen hat, mit uns zu speisen.« Die Freunde saßen in unbefangenem Gespräch mit dem Rücken gegen die Tür, als plötzlich Jaromir zwei Hände fühlte, die sich von hintenher über seine Augen legten, um ihn raten zu lassen, wer der Unbekannte sei; allein es blieb ihm nicht Zeit dazu, denn schon waren Bernhard und Ludwig mit dem lauten Ruf der Freude aufgesprungen: »Graf Rasinski!« Boleslaw aber war es, der Jaromirs Augen bedeckt hielt. Er umarmte den Freund und Kriegskameraden mit stürmender Herzlichkeit, und ebenso feurig begrüßte er auch Rasinski. »Wie ist's
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