1847 - Schiff der verlorenen Seelen
Tür, die sich öffnen ließ.
Es gab einen Schlüssel dazu. Er befand sich in einem kleinen Kasten an der Wand. Dort ging der Kapitän hin, zog eine kleine Tür auf und holte den Schlüssel hervor. Er sah aus wie ein kantiges Stück Eisen, das aber an seinem Ende bearbeitet worden war.
Er nahm den Schlüssel an sich und ging die paar Schritte bis zu dem Container.
Und wieder nahm er den Gestank wahr. Wie eine Wolke schien er durch irgendwelche Ritzen zu dringen, um seine Nase zu malträtieren.
Er schüttelte den Kopf. In zwei Minuten würde er Bescheid wissen, das stand fest. Dann würde er sehen, was in diesem kleinen Container so vor sich hin faulte.
Er steckte den Schlüssel ins Schloss, wollte ihn drehen, aber es kam nicht dazu.
Etwas geschah.
Der Kapitän zuckte zurück.
Jemand hämmerte gegen die Tür des Containers.
Das wäre auch nicht tragisch gewesen, aber dieses Hämmern war innerhalb des Containers aufgeklungen …
***
Arne Rundberg stand vor dem kleinen Container und bewegte sich nicht vom Fleck. Er konnte nichts mehr sagen, seine Augen waren weiteten sich und er hielt auch den Atem an.
Jetzt war nichts mehr zu hören.
Aber er hatte das Hämmern gehört. Es war da gewesen. Da gab es keine Täuschung.
Über seine Lippen drang ein leiser Fluch. Dann trat er von dem Container zurück, als hätte er Angst davor, dass die Tür plötzlich aufgerissen wurde und ihm ein Raubtier entgegen sprang.
Das geschah nicht.
Die Tür blieb zu. Aber es war nicht mehr so still, denn hinter der Tür hörte er ungewöhnliche Geräusche, die er nicht einordnen konnte. Es war nicht nur das Pochen gegen die Tür, das er mitbekam, es war auch noch etwas anderes.
Stimmen! Dazwischen Rufe, und beides stammte nicht von Tieren, sondern von Menschen.
Da war jemand eingeschlossen!
Dieser Gedanke zuckte durch sein Hirn. Ein blinder Passagier. So etwas gab es noch immer. Sogar immer öfter versuchten die Flüchtlinge aus den armen Ländern ins nördliche Europa zu gelangen.
Über Norwegen nach England.
Das war ein Weg, aber auch ein gefährlicher, denn wer die blinden Passagiere entdeckte, der schickte sie oft genug zurück. Und das würde auch der Kapitän hier tun müssen.
Er brauchte nur die Tür zu öffnen, dann war alles klar. Und doch zögerte er. Dass in diesem Container ein Mensch steckte, das war ihm klar, und er fand es irgendwie auch nicht schlimm.
Etwas anderes war schlimmer.
Es war der Gestank. Es war dieser widerliche Gestank nach Verwesung, als würden in dem Container Leichen transportiert werden.
Der Gedanke daran ließ ihn schlucken.
Und wieder zuckte er zurück, als jemand hart gegen die Innenseite der Tür schlug.
Er wollte raus. Er konnte wohl den Gestank nicht mehr ertragen. Das konnte Rundberg nachvollziehen.
Jetzt dachte er nicht mehr an den Geruch. Er steckte den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn um.
Die Tür schnappte auf.
Er musste sie nur noch aufziehen.
Das tat er auch.
Der Kapitän war darauf gefasst, etwas nicht Normales zu sehen. Was aber tatsächlich aus dem Container drang, das raubte ihm beinahe den Verstand.
Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Es kam nicht ein blinder Passagier, es waren mehrere Gestalten, die ihm eine Wolke von verwesendem Fleisch entgegen schickten …
***
Auch jetzt wusste der Kapitän nicht, wie er sich richtig verhalten sollte. Er rannte nicht weg, er wich nur zurück, den Blick auf die offene Tür gerichtet, wobei in seinen Augen Unglaube stand, denn was er da sah, war nicht zu fassen.
Die nackten Gestalten drängten sich aus der Enge. Sie brachten den Gestank mit, und auf manchen Körpern schimmerte so etwas wie eine durchsichtige Schicht einer geleeartigen Masse.
Es war widerlich.
Und der Gestank raubte ihm den Atem. Die Nackten gaben ihn ab. Sie waren endlich frei, jetzt konnten sie sich ausbreiten und sich ihre Beute holen.
Der Kapitän wollte nicht die Beute sein. Er würde sich zu wehren wissen. Er trug – nein, er trug die Pistole nicht bei sich. Sie lag in seiner Kajüte. Er hätte nie daran gedacht, dass er sie an Bord brauchen würde.
Sechs stinkende, halb nackte Gestalten waren es, die den Container verließen. Der Kapitän schaute in menschliche Gesichter, wobei die Gestalten nicht eben als nett anzusehen waren. Sie sahen irgendwie widerlich aus. Die Gesichter waren verzerrt. Wenn sie ihre Arme bewegten, dann entstanden Schleimfäden, die zwischen ihnen und dem Körper hingen.
Arne Rundberg konnte sich nicht
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