1858 - Posbis weinen nicht
trinken. Der Durst würde sie wieder dazu treiben, doch für den Moment schien sie das Bedürfnis zu trinken wieder vergessen zu haben, um sich dem Erfinden neuer Kreise zu widmen.
Alle, die Relebo gesehen hatte, hatten blaß ausgesehen und ausgezehrt gewirkt. Aber der Glanz in ihren Augen war der des Fiebers gewesen. Es hatte nicht den Anschein, als würden sie gar nichts zu sich nehmen -aber vermutlich doch nur das, was ihr Körper unbedingt brauchte und sich einforderte.
Sie aßen, wenn der Hunger unerträglich wurde, jedoch nicht mit oder aufgrund von Appetit. Dazu hätten sie keine Zeit.
Nun waren die sechs Posbis unterwegs zum terranischen Regierungszentrum. Sie wurden weiterhin geleitet und drangen ungehindert in die Innenstadt Terranias ein, flogen in geringer Höhe durch erhellte Straßenschluchten. Unter sich sahen sie immer wieder abgestürzte Gleiter und sogar einmal eine kleine Space-Jet, deren Piloten offenbar versucht hatten, in Kreisen voranzukommen - wobei ihnen stabile Häuserwände und andere Hindernisse im Weg gewesen waren.
Jetzt gab es keinen Flugverkehr mehr. Gleiter, die den Beginn des Chaos heil überstanden hatten, waren geparkt und verlassen. Auf den. geschwungenen Hochstraßen des automatischen Verkehrsleitsystems standen die Schweber mit offenen Türen oder Dächern still. Kein Mensch war dort zu sehen.
Offenbar waren die Passagiere der Fahrzeuge von robotgesteuerten Vehikeln in Sicherheit gebracht worden, nachdem eine syntronische oder positronische Steuerzentrale alles blockiert hatte, womit sich kreisbesessene Terraner und Terranerinnen in Todesgefahr bringen konnten.
Die größte Metropole in diesem Teil der Milchstraße war wie tot, und das nicht nur verkehrstechnisch.
Die Terraner, die auf den Straßen zu sehen waren, wirkten verloren, deplaziert. Die meisten Bewohner der großen Stadt mußten in ihren Wohnungen hocken ... und Kreise erfinden.
Relebo berichtete alle Beobachtungen an Homer G. Adams und fragte ihn auch, weshalb „sein" Gleiter als einziger fliegen konnte, wohin er wollte, statt ebenfalls lahmgelegt zu werden. Adams antwortete nur ausweichend, er habe dafür gesorgt, und die Posbis sollten sich darüber nicht die Köpfe zerbrechen.
Damit mußte sich Relebo zufriedengeben.
Eines behielt er im Gegenzug auch für sich, während der Gleiter unter den grellfarbigen Holos der Werbewirtschaft dahinglitt, die Produkte anpries, die in diesen Tagen kein Terraner mehr begehren konnte. Das gleiche galt für die aufwendigen, in den Himmel projizierten Ankündigungen kultureller Veranstaltungen - und immer wieder die ewig gleichen Hinweise für außerirdische Besucher, die in vielen Fällen mit einem großen „X" unterlegt waren.
Relebo erwähnte Homer G. Adams gegenüber nichts von der Irritation, die ihn und seine Truppe seit einigen Minuten betraf. Seine Programmierung zwang ihn nicht zu einer solchen Auskunft. Sie hätte vielleicht alles gefährdet.
Es war sicherlich auch nur eine Erscheinung, die vorübergehend war; eine Aufwallung des Bioplasmas gegen die Syntronik der Posbis, die nicht von langer Dauer sein konnte. Denn die Syntronik unterlag keinen Abnutzungserscheinungen, während sich das Plasma wohl bald kräftemäßig verausgabte.
Dennoch war es in gewissem Umfang besorgniserregend, daß es überhaupt dazu kommen konnte.
„Es besteht kein Grund zur Besorgnis", funkte Relebo an seine Begleiter. „Wir haben alles unter Kontrolle. Sollte sich dies bei einem von euch ändern, verlange ich sofortige Meldung."
„Das Plasma will uns dazu drängen, uns im Kreis zu bewegen und in Kreisen zu denken", beschrieb Gabezo, was er empfand. „Es versucht uns dazu zu bringen, unsere Mission aufzugeben und auf etwas zu warten."
„Es steht wie die Terraner unter dem Einfluß des Philosophen und empfindet genau wie sie", meinte Tellner. „Wenn wir die bionische Sperre aufheben könnten, würden wir exakt wissen, was. in den Terranern vorgeht."
„Zu unserem Glück können wir das nicht", funkte Relebo. „Ich würde es auch nicht erlauben und warne jeden von euch davor, seine Konzentration zu vernachlässigen und etwa in sich hineinzulauschen. Es darf keine Experimente geben!"
Er wußte gut, wovon er sprach, denn die Verlockung war groß.
Offenbar war der Tangle-Schild hundertprozentig gegen den Tangle-Scan wirksam, aber eben doch keine vollkommene Abwehrwaffe gegen das, was der Einfluß des Philosophen hier mit dem Plasma machte. Es reagierte viel stärker darauf.
Weitere Kostenlose Bücher