1886 - Nach der Apokalypse
Sobald sie aber merkte, daß Harro sie beobachtete, nahm sie sich zusammen, nur damit er sie nicht fortschickte.
Sie klammerte sich an Harro wie eine Ertrinkende, gleichsam als letzten Halt vor dem Abgrund.
*
Mimi fuhr verstört hoch, als eine Stimme die Treppen herabdonnerte: „Ihr beide da drin! Sofort rauskommen!"
„Pssst", wisperte Harro zu Mimi. „Keinen Mucks ..."
Sie nickte stumm und leicht empört, denn sie hatte bisher noch kein einziges Mal unvermittelt zu kreischen begonnen und ihren Standort verraten.
„Ich sag’s zum letzten Mal!" bellte die rauhe Stimme des Dscherro.
Mimi merkte, daß Harro einen Moment zögerte.
Sie hatten beide etwa eine Stunde geschlafen; in der Zwischenzeit hatte sich der qualmende Rauch verzogen. Der Dscherro mußte sich angeschlichen haben, denn Mimi hatte kein warnendes Geräusch gehört.
Möglicherweise einer der Angreifer, der nun zurückgekommen war, um sie gefangenzunehmen. Seine Ortungsgeräte zeigten ihm natürlich, daß sich hier unten zwei lebende Personen befanden.
Als Mimi Harros Zögern sah, bekam sie es mit der Angst zu tun. Niemals würde sie sich einem dieser widerlichen Mörder ausliefern! Lieber würde sie sterben!
Dies war Mimi absolut ernst. Sie kannte solche Phrasen zwar von Filmen, aber daran dachte sie jetzt nicht. Sie hatte zu oft gesehen, was mit den Gefangenen geschah.
Vorsichtig kroch sie rückwärts den Gang weiter. Es wurde rasch finster, aber Harro hatte ihr eine kleine Lampe gegeben, und sie erkundete kurz den Weg nach hinten. Dann robbte sie eilig zu Harro zurück.
„Komm mit!" zischte sie. „Schnell, schnell!"
Ihr Herz pochte heftig, und sie zerrte an Harros Ärmel. Sie wollte weg, so weit wie möglich fort von dem Gehörnten da draußen. Nicht einmal die Dunkelheit konnte sie so sehr schrecken.
Aber sie ließ dem Mann den Vortritt, sie traute sich nicht als erste voran. Andererseits, wenn der Dscherro ihnen nachkam ...
Harro stieß einen unterdrückten Laut aus, als Mimi ihn kräftig in die Kehrseite boxte, um schneller voranzukommen.
„Du weißt, daß wir hier auf ewig verschüttet werden können?" wisperte er nach hinten.
„Ja",gab sie ebenso leise zurück. „Schneller, Harro, mach doch!"
„Ist ja gut, Kleine, es ist ziemlich eng hier, und ich weiß schließlich nicht, wohin es geht ..." Er stockte, drehte sich blitzschnell um und warf .sich über Mimi, als eine ohrenbetäubende Detonation hinter ihnen den Boden zum Zittern brachte.
Die Druckwelle preßte beide nieder, und sie schnappten nach Luft. Geröll löste sich von der Decke, und hinter ihnen stürzte der Schacht unter großem Getöse ein.
Dann war es vorbei.
Harro rappelte sich hoch, und Mimi konnte im Schein der Lampe sein Grinsen sehen. „Den sind wir los", stellte er fest.
„Ja, aber hoffentlich gibt es einen zweiten Ausgang", meinte sie zitternd.
Sie hatte zwar vorher großspurig getan, aber die Vorstellung, hier unten in der engen Dunkelheit langsam zu ersticken, gefiel ihr gar nicht. Außerdem konnte man nie wissen, was hier unten lauerte.
Sie klopfte sich ein wenig Staub ab, hustete und nieste. Das verletzte Knie brannte wie Feuer, aber sie konnte nicht aufrecht gehen. Da war Kriechen immer noch besser. Sie hielt sich an Harros Stiefel fest und rutschte mit ihm mit.
Der Gang blieb gleich eng und niedrig, und es ging immer tiefer. Mimi hatte das Gefühl, den Mief vieler Jahrhunderte in die Nase zu bekommen. Die Luft war verbraucht, aber nicht stickig. Das bedeutete, daß es irgendwo Belüftungsanlagen oder weitere Zugänge gab.
Wenigstens eine Hoffnung und kein Grund mehr, hysterisch zu werden.
„Weißt du, was das hier ist?" fragte sie Harro.
Der Soldat mußte verneinen. „Irgendwas Altes, Vergessenes, das durch den Zusammenbruch freigelegt wurde. Ein alter Reparaturgang für die Rohrbahnen vielleicht."
Schließlich kamen sie an eine „Kreuzung" mit mehreren Gängen in verschiedenen Richtungen.
Irgendwo tropfte Wasser, und durch einen Gang zog sich ein Rinnsal.
Mimi machte einen Satz nach vorn und kroch fast unter Harros Bauch, als sie ein hohes Fiepen hörte. „Was ... was ist das?" fragte sie bibbernd.
„Ratten", antwortete Harro gelassen.
„Ratten? Was sind Ratten?"
„So Viecher eben. Nagetiere, die ziemlich alles vertilgen. Gibt’s nur in solchen ungemütlichen Gegenden, nicht in unseren sauberen Wohnanlagen."
„Woher weißt du dann, daß es Ratten sind?"
„He, Kind, ich bin nicht auf meinem ersten
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