19 Minuten
Silberrahmens, dass es wehtat. »Wenn ich das höre, das ganze Gerede, Peter Houghton hätte keine Freunde - alle hätten ihn gehänselt... das stimmt nicht«, sagte sie. »Wer keine Freunde hatte, war meine Tochter. Meine Tochter wurde jeden Tag gehän-seit. Meine Tochter fühlte sich ausgestoßen, und das war sie auch. Peter Houghton war nicht der Außenseiter, als den ihn alle hinstellen. Peter Houghton war einfach böse.«
Yvette blickte auf das Foto ihrer Tochter. »Die Psychologin von der Polizei hat gesagt, Kaitlyn sei als Erste gestorben«, sagte sie. »Dass Kaitie so schnell nicht begriffen hat, was los ist - nicht gelitten hat.«
»Das war sicher ein Trost für Sie«, sagte die Fernsehfrau.
»Das war es. Bis wir mit anderen Eltern, die ein Kind verloren haben, geredet haben und sich herausstellte, dass die Psychologin uns allen das Gleiche erzählt hat.« Yvette blickte mit Tränen in den Augen auf. »Aber sie können ja nicht alle als Erste gestorben sein.«
Der Gedenkgottesdienst für Matthew Royston wurde in einer Kirche abgehalten, die nicht alle Trauergäste fassen konnte. Mitschüler und Eltern und Freunde der Familie saßen dicht gedrängt in den Bänken, standen entlang der Wände, bildeten eine Traube vor den offenen Türen. Ein Kontingent von Schülern der Sterling High war in grünen T-Shirts erschienen, auf der Brust die Nummer 19 - die auch Matts Eishockeytrikot geziert hatte.
Josie und ihre Mutter saßen irgendwo ziemlich weit hinten, und dennoch hatte Josie das Gefühl, von allen angestarrt zu werden. Vielleicht weil alle wussten, dass sie Matts Freundin gewesen war, vielleicht durchschauten sie sie aber auch einfach nur.
»Gesegnet sind die Trauernden«, sagte der Pastor, »denn sie sollen getröstet werden.«
Josie schauderte. Trauerte sie? Fühlte sich trauern an, als hättest du mitten in dir ein Loch, das jedes Mal größer wurde, wenn du es zustopfen wolltest? Oder war sie unfähig zu trauern, weil trauern bedeutete, sich zu erinnern, was sie nicht konnte?
Ihre Mutter beugte sich zu ihr. »Sag ruhig, wenn du gehen willst.«
Es war schon schlimm genug, dass sie nicht wusste, wer sie war, aber sie erkannte auch praktisch niemanden mehr. Leute, die sie immer nur ignoriert hatten, kannten plötzlich ihren Namen. Alle bekamen weiche Augen, wenn sie sie ansahen. Und ihre Mutter war ihr die Fremdeste von allen. Josie hatte gedacht, sie würde darum kämpfen müssen, auf Matts Beerdigung gehen zu dürfen, doch zu Josies Überraschung war der Vorschlag von ihrer Mutter gekommen. Die blöde Psychotante, bei der sie eine Therapie machen musste - wahrscheinlich bis an ihr Lebensende -, redete andauernd von Trauerarbeit, als müsste sie nur schön fleißig sein, um über den Verlust hinwegzukommen. Und ihre Mutter hatte sich in eine durchgeknallte, übertrieben gefühlige Maschine verwandelt, die andauernd fragte, ob sie irgendwas brauchte. Wenn ich mich wirklich besser fühlen soll, hätte Josie am liebsten gesagt, geh wieder arbeiten. Dann könnten sie beide so tun, als wäre alles wie gehabt, und überhaupt, es war schließlich ihre Mutter gewesen, die Josie beigebracht hatte, wie man so tat als ob.
Vorn in der Kirche stand ein Sarg. Es war schwer vorstellbar, dass Matt in dem lackierten schwarzen Kasten lag, dass er nicht atmete, dass kein Blut mehr in ihm floss.
»Liebe Freundinnen, liebe Freunde, während wir hier versammelt sind, um Matthew Carlton Roystons zu gedenken, hat Gott den schützenden und heilenden Mantel Seiner Liebe über uns gebreitet«, sagte der Pastor. »Wir können unsere Trauer und unseren Zorn ausströmen lassen, uns unserer Leere stellen, denn wir wissen, dass Gott für uns da ist.«
Letztes Jahr hatten sie im Geschichtsunterricht gelernt, wie die alten Ägypter ihre Toten präparierten. Matt - der immer nur büffelte, wenn Josie ihn zwang - war richtig fasziniert gewesen. Wie das Gehirn durch die Nase ausgesaugt wurde. Die Kostbarkeiten, die man einem Pharao mit ins Grab legte. Die Tiere, die neben ihm bestattet wurden. Josie hatte das Kapitel im Schulbuch vorgelesen, den Kopf auf Matts Schoß. Plötzlich hatte er ihr eine Hand auf die Stirn gelegt: »Wenn ich gehe«, sagte er, »nehm ich dich mit.«
Der Pastor blickte über die Trauergemeinde. »Der Tod eines geliebten Menschen kann uns bis ins Mark erschüttern. Wenn der Verstorbene noch jung war und voller Möglichkeiten, sind die
Gefühle von Trauer und Verlust um so überwältigender. In einer Zeit wie
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