19 Minuten
totlachten, wenn Peter aufs Klo musste. Eben wieder irgendwelche Leute, die sich über ihn lustig machten.
Die Kamera hatte ein rotes Lämpchen für die Betriebsanzeige und eine einzige Linse, die regenbogenfarben schimmerte. Um die Linse herum war eine Gummimanschette, die aussah wie ein Augenlid. Peter kam der Gedanke, dass er, selbst wenn er nicht selbstmordgefährdet war, es auf jeden Fall in ein paar Wochen wäre.
Es wurde auch nicht richtig dunkel in der Zelle, nur dämmrig. Peter lag auf der Pritsche und fragte sich, ob ein Mensch das Gehör verlor, wenn er es nie benutzen musste, und ob das auch für das Sprachvermögen galt. Ihm fiel etwas ein, das er mal in der Schule über die amerikanischen Ureinwohner im Wilden Westen gelernt hatte: Wenn ein Indianer ins Gefängnis kam, konnte es passieren, dass er einfach tot umfiel. Es gab die Theorie, dass Menschen, die ein Leben in der freien Natur gewohnt waren, Einengung und Gefangenschaft einfach nicht ertrugen, aber Peter hatte eine andere Erklärung. Wenn die einzige Gesellschaft, die du hattest, deine eigene war, und du aber lieber allein sein wolltest, war das die einzige Möglichkeit, den Raum zu verlassen.
Einer von den Aufsehern hatte eben den Kontrollrundgang absolviert - schwere hastige Schritte an den Zellen vorbei als Peter es hörte.
Ich weiß, was du getan hast.
Ach, du Schande, dachte Peter. Ich dreh tatsächlich schon durch.
Alle wissen es.
Peter schwang die Füße auf den Zementboden und blickte die Kamera an, aber sie wirkte stoisch wie immer.
Die Stimme klang wie Wind über Schnee - ein düsteres Flüstern. »Rechts von dir«, sagte sie, und Peter stand langsam auf und ging in die Ecke.
»Wer ... wer ist da?«
»Wurde auch Zeit. Ich dachte schon, du hörst nie auf zu heulen.«
Peter spähte angestrengt durchs Gitter, um etwas zu erkennen, aber Fehlanzeige. »Du hast gehört, wie ich geweint hab?«
»Geflennt wie ein Baby hast du«, sagte die Stimme. »Werd endlich erwachsen.«
»Wer bist du?«
»Du kannst mich Fleischwolf nennen, wie alle hier.«
Peter schluckte. »Was hast du gemacht?«
»Nichts von dem, was sie mir vorwerfen«, antwortete Fleischwolf. »Wie lange noch?«
»Wie lange noch was?«
»Bis zu deinem Prozess?«
Peter wusste es nicht. Er hatte vergessen, Jordan die Frage zu stellen, wahrscheinlich, weil er Angst vor der Antwort hatte.
»Meiner ist nächste Woche«, sagte Fleischwolf, ehe Peter etwas erwidern konnte.
Die Metallstäbe an seiner Schläfe fühlten sich eiskalt an. »Wie lange bist du schon hier?«, fragte Peter.
»Zehn Monate«, lautete die Antwort.
Peter stellte sich vor, zehn ganze Monate in dieser Zelle zu hocken. Er überlegte, wie oft er dann wohl noch die Steine der Wände zählen würde, wie oft die Wärter auf ihrem Monitor ihn noch beim Pinkeln beobachten würden.
»Du hast Kids abgeknallt, nicht? Weißt du, was die Knackis hier mit Typen wie dir machen?«
Peter sagte nichts. Immerhin war er nicht in einen Kindergarten gegangen. Und immerhin hatte er nicht ohne Grund gehandelt. Aber er wollte nicht mehr darüber reden. »Wieso bist du nicht auf Kaution frei?«
Fleischwolf schnaubte. »Weil ich eine Kellnerin vergewaltigt und anschließend erstochen haben soll.«
Hielten sich etwa alle hier für unschuldig? Die ganze Zeit hatte Peter auf seiner Pritsche sich eingeredet, er wäre anders als alle anderen im Untersuchungsgefängnis von Grafton County - und jetzt stellte sich heraus, dass das eine Lüge war.
Hörte er sich für Jordan auch so an?
»Bist du noch da?«, fragte Fleischwolf.
Peter legte sich ohne ein weiteres Wort wieder auf seine Pritsche. Er drehte das Gesicht zur Wand, und er tat so, als würde er nicht hören, wie der Mann in der Nachbarzelle unablässig versuchte, wieder mit ihm in Kontakt zu treten.
Als Erstes fiel Patrick erneut auf, wie viel jünger Richterin Cor-mier wirkte, wenn sie keine Robe trug. Sie kam in Jeans und mit Pferdeschwanz an die Tür, wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. Josie tauchte gleich hinter ihr auf, den gleichen leeren Ausdruck im Gesicht, den er inzwischen mindestens ein Dutzend Mal bei seinen Gesprächen mit anderen Opfern gesehen hatte. Josie war ein wichtiges Puzzleteil, die Einzige, die gesehen hatte, wie Peter Matthew Royston erschossen hatte. Doch im Gegensatz zu den anderen Opfern hatte Josie eine Mutter, die sich mit den Fallstricken des Gesetzes auskannte.
»Euer Ehren«, sagte er. »Josie. Danke, dass Sie sich Zeit
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