Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
Vom Netzwerk:
hinaus.
    Ich bahnte mir einen Weg durch den Garten, ging über die birnenlosen Lampen und zerschlitzten Polster, vorsichtig vorbei an einem Hund, der mit einem riesigen Stoffpanda kämpfte, durch die gesplitterte Türfassung.
    Es roch nach Rauch, irgendwo lief Wasser.
    Mitten in dem zerstörten Wohnzimmer stand ein metallener Mülleimer in einem Meer aus Glassplittern. Es gab keinen Fernseher, keine Stereoanlage, nur die leeren Stellen, wo sie einst gestanden hatten, und ein in der Mitte durchgebrochener Weihnachtsbaum aus Plastik. Keine Geschenke, keine Weihnachtskarten.
    Ich trat über einen Haufen Menschenscheiße auf der untersten Stufe und stieg die feuchte Treppe hinauf.
    Alle Wasserhähne im Bad waren voll aufgedreht, die Wanne lief über.
    Kloschüssel und Waschbecken waren zerschlagen und hatten den blauen Teppich überflutet. Flüssiggelber Durchfall tropfte an der Badewanne herunter, in roter Farbe war National Front darüber gesprüht.
    Ich drehte die Wasserhähne zu und schob mir mit dem Verband den linken Ärmel hoch. Ich steckte die linke Hand ins eiskalte braune Wasser und suchte nach dem Stöpsel. Meine Hand stieß am Grund der Wanne gegen etwas Festes.
    In der Wanne war etwas.
    Ich erstarrte, dann zog ich schnell den Stöpsel heraus und meine Hand gleich mit.
    Ich sah dem abfließenden Wasser nach, trocknete mir die Hand an der Hose ab, während sich in dem kackbraunen Wasser ein dunkler Schatten bildete.
    Ich schob mir beide Hände unter die Achseln und kniff die Augen zusammen.
    In der Wanne stand eine blaue Slazenger-Sporttasche aus Leder.
    Sie war geschlossen und lag auf der Seite.
    Scheiße, laß es, du willst es nicht wissen.
    Mit trockenem Mund kauerte ich mich hin und drehte die Tasche richtig herum.
    Sie fühlte sich schwer an.
    Das letzte Wasser verschwand im Ausguß, zurück blieb kotverdreckter Schlamm, eine Nagelbürste und die blaue SlazengerTasche.
    Scheiße, laß es, du willst es nicht wissen.
    Ich hielt die Tasche mit der bandagierten Hand aufrecht und zog mit der Linken den Reißverschluß auf.
    Er verhakte sich.
    Scheiße.
    Er verhakte sich wieder.
    Laß es.
    Der Gestank frischer Scheiße.
    Du willst es nicht wissen.
    Fell, ich konnte Fell sehen.
    Eine fette tote Katze.
    Gebrochenes Rückgrat, offenes Maul.
    Ein blaues Halsband und ein Namensschild, das ich nicht anrührte.
    Erinnerungen an begrabene Haustiere, an Archie und Socks, die in unserem Garten in der Wesley Street begraben lagen.
    Scheiße, du hast es ja nicht anders gewollt.
    Auf dem Absatz zwei weitere Türen.
    Das größere Schlafzimmer links mit den zwei Doppelbetten stank nach Pisse und kaltem Rauch. Die Matratzen waren abgezogen, die Klamotten daraufgeworfen. Brandspuren an den Wanden.
    Wieder in Rot: Kanaken raus und Fuck the Provos.
    Ich ging über den Absatz zu einem weiteren billigen Plastikschild, auf dem Michaels Zimmer stand.
    Michael John Myshkins Zimmer war nicht größer als eine Zelle.
    Das Einzelbett war umgekippt, die Vorhänge von der Stange gezogen, das Fenster durch den umgekippten Kleiderschrank eingeschlagen worden. Poster, die von den Wänden gerissen worden waren, was Streifen auf der Tapete mit dem Magnolienmuster hinterlassen haue, lagen auf dem Boden, zusammen mit amerikanischen und englischen Comics, Zeichenblöcken und Wachsmalstiften.
    Ich hob ein Hulk-Heft auf. Die Seiten waren durchgeweicht und stanken nach Pisse. Ich ließ das Heft fallen und schob den Stapel aus Comics und Papier mit dem Fuß auseinander.
    Unter einem Buch über Kung-Fu lag ein halbwegs unversehrter Skizzenblock. Ich beugte mich hinab und blätterte ihn auf.
    Der ganzseitige Titel eines Comics starrte mich an. Er war mit Filzstiften und Wachsmalern von Hand gezeichnet worden:
    Rat Man, Prinz oder Pest?
    Von Michael J. Myshkin.
    Eine von kindlicher Hand gezeichnete riesige Ratte mit menschlichen Händen und Füßen hockte auf einem Thron, umringt von Hunderten kleinerer Ratten.
    Rat Man grinste und sagte: »Die Menschen haben nicht über uns zu richten. Wir haben über die Menschen zu richten!«
    Über dem Rat-Man-Logo stand mit Kugelschreiber geschrieben:
    Ausgabe 4, 5 Pence, MJM Comics.
    Ich blätterte um.
    In sechs Bildern flehten die Ratten Rat Man, ihren Prinzen, an, an die Erdoberfläche zu gehen und sie von den Menschen zu befreien.
    Auf Seite 2 war Rat Man dann auf der Erdoberfläche und wurde von Soldaten gejagt.
    Auf Seite 3 entkam er.
    Er hatte Flügel bekommen.
    Verdammte Schwanenflügel.
    Ich stopfte den

Weitere Kostenlose Bücher