1976 - Das Jesus-Papier
Gottes Namen?«
»Um Ihre Frau zu töten. Wenn sie ums Leben gekommen oder auch nur schwer verwundet worden wäre, nahm er an, hätten Sie sich gegen alles Britische gewandt, MI 6 verlassen. Er hatte recht. Beinahe hätten Sie das ja getan, das wissen Sie. Er haßte Sie, gab Ihnen die Schuld, weil seine brillante Karriere zerstört worden war. So wie ich es verstand, versuchte er, Sie in jener Nacht in London festzuhalten.«
Victor erinnerte sich an die schreckliche Nacht. Stone, der methodisch vorgehende Psychopath, hatte die Minuten gezählt, die Geschwindigkeit eines Wagens ausgerechnet. Fontine griff nach seinen Zigaretten auf dem Nachttisch. »Letzte Frage. Lügen Sie nicht. Was war in diesem Zug aus Saloniki?« Brevourt ging ans Fenster und schwieg einen Augenblick lang. »Pergamentrollen, Schriftstücke aus der Vergangenheit, die, wenn man sie an die Öffentlichkeit bringt, die religiöse Welt in Chaos stürzen können. Ganz besonders würden sie die christliche Welt in Stücke reißen. Anklagen und Dementis würden hin und her geschleudert werden. Regierungen könnten sich gezwungen sehen, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Und schlimmer als alles andere - in feindlicher Hand wären diese Dokumente eine ideologische Waffe, die alles Vorstellbare übersteigt.«
»Dokumente können so etwas bewirken?« fragte Fontine. »Diese Dokumente können das«, erwiderte Brevourt und wandte sich vom Fenster ab. »Haben Sie je von der Filioque-Klausel gehört?«
Victor atmete ein. Seine Gedanken wanderten über die Jahre zurück, zu dem, was er als Kind gelernt hatte. »Das ist ein Teil des Nicäischen Bekenntnisses.«
»Genauer gesagt, des Nicäischen Bekenntnisses aus dem Jahre 381. Es hat viele Konzilien gegeben, ganz subtile Abwandlungen des Glaubens. Die Filioque-Klausel war eine spätere Hinzufügung, die ein für allemal aussagte, daß Christus von derselben Substanz wie Gott ist. Die östliche Kirche hat diesen Zusatz als Irrlehre abgelehnt. Für die östliche Kirche, besonders für die Sekten, die dem Arius folgten, war Jesus Christus als der Sohn Gottes der Lehrer. Seine Göttlichkeit war der Gottes nicht gleich. Für sie konnte es in jenen Zeiten keine solche Gleichheit geben. Als die Filioque-Klausel zum erstenmal vorgeschlagen wurde, erkannte sie das Patriarchat von Konstantin als das, was sie war: eine Doktrin, die Rom begünstigte. Ein theologisches Symbol, das sich als Begründung benutzen ließ, um sich zu trennen und neue Gebiete zu erobern, und damit hatten sie natürlich recht. Das Heilige Römische Reich wurde zu einer globalen Macht - so wie man den Begriff global damals begriff. Sein Einfluß breitete sich von jener einzigen Prämisse ausgehend in der ganzen Welt aus, dieser spezialisierten Göttlichkeit Christi: Erobert in Namen Christi.« Brevourt hielt inne, als suchte er nach Worten. Langsam ging er zum Fußende des Bettes zurück.
»Dann widerlegen die Dokumente in jener Kassette die Filioque-Klausel?« fragte Victor. »Wenn sie das tun, sind sie eine Herausforderung für die Grundfeste der römischen Kirche und aller christlichen Sekten, die sich später entwickelt haben.«
»Ja, das tun sie«, erwiderte Brevourt leise. »Insgesamt und im kollektiven Sinn nennt man sie die Verwerfung - die Filioque-Verwerfungen. Sie schließen Verträge zwischen Kronen und Fürsten bis hinüber nach Spanien ein, im sechsten Jahrhundert, wo die Filioque-Verwerfung ihren Ursprung hatte, und zwar, wie viele glauben, aus rein politischen Gründen. Andere sind Aufzeichnungen dessen, was als >logische Korruption< bezeichnet wird... Wenn das alles gewesen wäre, was sie bewirkten, hätte die Welt damit leben können. Sohn Gottes, Lehrer, eine Substanz. Das sind theologische Differenzen, mit denen sich vielleicht Bibelwissenschaftler befassen können. Leider geht es um viel mehr. Im Eifer des Patriarchats, die Filioque-Klausel abzuwenden, sandte es Priester aus, um die Heiligen Lande zu durchsuchen, sich mit den aramäischen Gelehrten zu treffen und alles ans Licht zu fördern, das je in bezug auf Jesus existierte. Sie haben viel mehr ans Tageslicht gebracht, als sie suchten. Es gab Gerüchte von Schriftrollen, die in den Jahren um die Wende des ersten Jahrhunderts geschrieben wurden. Man hat sie ausfindig gemacht, einige entdeckt und sie Konstantin gebracht. Es heißt, daß eine dieser aramäischen Schriftrollen, das Jesus-Papier, tiefschürfende und sehr spezielle Zweifel in bezug auf den
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