1976 - Das Jesus-Papier
auf dem Zug aus Saloniki? Was war in der Kassette, das Sie dazu veranlaßt hat, so zu handeln?«
Anthony Brevourt hob die Augen und sah Vittorio an. »Das weiß ich nicht.«
»Das ist lächerlich.«
»Ich bin sicher, daß es Ihnen so erscheint. Ich weiß nur - in welcher Verbindung es wichtig ist. Solche Dinge haben keinen Preis. Es handelt sich um einen abstrakten Wert.«
»Und von diesem Urteil ausgehend, haben Sie diese Entscheidungen getroffen, Ihre höchsten Behörden davon überzeugt, sie zu treffen, Ihre Regierung zum Handeln veranlaßt?«
»Ja, das habe ich getan, Sir. Ich würde es wieder tun. Und das ist alles, was ich zu dem Thema sagen werde.« Brevourt erhob sich von dem Tisch. »Es ist sinnlos, das Gespräch fortzusetzen. Vielleicht treten andere mit Ihnen in Verbindung. Guten Tag, Signore Fontini-Cristi.«
Das Verhalten des Botschafters schien die beiden Offiziere zu verblüffen, aber sie sagten nichts. Vittorio stand auf, nickte und ging wortlos zur Tür. Dort drehte er sich um und sah Brevourt an. Die Augen des Mannes blickten ausdruckslos.
Draußen fand Fontini-Cristi zu seiner Überraschung Commander Neyland zwischen zwei gewöhnlichen Soldaten stehen. Abwehrabschnitt Fünf, Fremde Operationen, ging keine Risiken ein. Die Tür des Konferenzraums wurde bewacht.
Neyland drehte sich um, und sein Gesicht zeigte sein Erstaunen. Offensichtlich hatte er damit gerechnet, daß die Besprechung länger dauern würde.
»Ich sehe, man hat Sie freigelassen.«
»Ich hatte nicht den Eindruck, in Haft zu sein«, antwortete Vittorio.
»Eine Redensart.«
»Mir war nie bewußt gewesen, wie wenig attraktiv diese Redensart ist. Werden Sie mich hinausbegleiten?«
»Ja, ich werde am Eingang für Sie unterschreiben.«
Sie näherten sich dem mächtigen Empfangstisch der Admiralität. Neyland sah auf die Uhr und nannte dem Posten Vittorios Namen. Fontini-Cristi wurde gebeten, hinter der Uhrzeit abzuzeichnen; das tat er. Als er sich wieder aufrichtete, salutierte der Commander sehr formell. Er nickte - formell -, drehte sich um und ging über den auf Hochglanz polierten Marmorboden auf die mächtige Doppeltür zu, die zur Straße hinausführte.
Er war auf der vierten Treppenstufe, als die Worte auftauchten. Sie schossen durch den wirbelnden Nebel aus weißem Licht und dem Stakkato von Gewehrfeuer.
»Champoluc... Zürich ist Champoluc... Zürich ist der Fluß!«
Und dann nichts mehr. Nur die Schreie und das weiße Licht und die im Tod erstarrten Körper.
Er blieb auf der Marmortreppe stehen, sah nichts außer den schrecklichen Visionen seines Bewußtseins.
»Zürich ist der Fluß! Champoluc...«
Vittorio hielt an sich. Er stand reglos da, atmete tief und war sich undeutlich bewußt, daß die Leute auf der Straße und einige auf der Treppe ihn anstarrten. Er fragte sich, ob er umkehren, noch einmal durch die Türen der Admiralität treten und einen langen Korridor hinuntergehen sollte zu dem kathedralenähnlichen Bogen, hinter dem das Konferenzzimmer von Abwehrabschnitt Fünf lag. Und dann traf er ruhig seine Entscheidung. Vielleicht treten andere mit Ihnen in Verbindung. Sollten die anderen kommen. Er würde sein Wissen nicht mit Brevourt teilen, dem Mann, der ihn angelogen hatte.
»Wenn Sie gestatten, Sir Anthony«, sagte Vizeadmiral Hackett, »ich glaube, es hätte noch eine ganze Menge zu besprechen gegeben... «
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, unterbrach Brigadier Teague, sichtlich gereizt. »Der Admiral und ich haben unsere Differenzen, aber nicht in diesem Punkt, Sir. Wir haben ja kaum an der Oberfläche gekratzt. Wir haben eine außergewöhnliche Investition getätigt und nichts dafür bekommen. Da wäre mehr zu haben gewesen.«
»Es war nutzlos«, sagte Brevourt müde und trat langsam an das von Vorhängen gesäumte Fenster, das den Blick auf den Innenhof freigab. »Das stand in seinen Augen geschrieben. Fontini-Cristi hat die Wahrheit gesagt. Er war verblüfft. Er weiß nichts.«
Hackett räusperte sich, ein Vorspiel zu seinem Urteil. »Er hat mir nicht gerade den Eindruck gemacht, als schäumte er. Mir schien er recht gelassen zu sein, würde ich sagen.«
Der Diplomat starrte geistesabwesend zum Fenster hinaus und antwortete mit leiser Stimme. »Wenn er geschäumt hätte, dann hätte ich ihn eine Woche in diesem Stuhl festgehalten. Er hat sich ganz genauso verhalten, wie ein Mann auf eine Nachricht reagiert, die ihn zutiefst aufwühlt. Der Schock war zu tief, als daß er seine Reaktion
Weitere Kostenlose Bücher