1980 Die Ibiza-Spur (SM)
wieder versteckte er sich, oder die Wolken waren es, die mit dem gelben Ball ihr Spiel trieben, Jagd auf ihn machten, ihn einfingen und wieder laufenließen. So wechselten an diesem Abend Licht und Schatten auf der Insel einander ab.
Der Pförtner am Eingang zum Club ROCA LLISA hob den Schlagbaum. Hemmerich steckte seine Clubkarte wieder ein, fuhr durch. Die beiden Männer auf dem Rücksitz kümmerten den Wärter nicht; der eine rauchte, der andere schien zu schlafen.
Sie fuhren auf der schmalen Serpentinenstraße hinunter zum Meer. Hemmerich parkte, aber nicht bei den Casas del Mar, weil Hentschels Leute dort jederzeit nach ihrem verlorengegangenen Mann suchen könnten, sondern gut einen halben Kilometer davon entfernt.
Bei der Überlegung, welche Telefonzelle für ihr Unternehmen in Frage käme, war Hemmerich sehr bald auf den Club ROCA LLISA gekommen, denn nicht nur wurden hier die gläsernen Kabinen selten benutzt, so daß eine Störung der Aktion kaum zu erwarten war, sondern der Club würde auch als Ortsangabe überzeugen wie kaum eine andere. Immerhin hatten sie dort ihren Mann zurückgelassen.
Er schaltete Motor und Licht aus, drehte sich um und sagte zu Maschke: »Nach dem Anruf verstecken wir den Wagen etwas weiter oben zwischen den Bäumen.« Und dann wandte er sich an den Gefangenen: »Also, du kriegst deinen Zettel, hältst dich an die Vereinbarungen, und wenn du auch nur ein einziges Wort sagst, das aus dem Rahmen fällt, dann ist das für unsere Ohren ein Codewort, und deine andere Schulter ist dran. Klar?«
»Ja«, antwortete Herles.
Hemmerich und Maschke stiegen aus. Sie halfen dem Verletzten aus dem Wagen und stützten ihn auf dem Weg zu der nur wenige Meter entfernten Telefonzelle.
»Hast du die Nummer im Kopf?« fragte Maschke.
»Ja.« sagte Herles. Sicherheitshalber ließ Hemmerich sie sich nennen und verglich sie mit der Nummer des Hotels EL CASTILLO im Telefonbuch. Sie stimmte.
Zu dritt standen sie in der engen Kabine. Herles ächzte, konnte sich vor Schmerzen kaum auf den Beinen halten, so daß Maschke ihn weiterhin stützte, während Hemmerich den vorgefertigten Text auf dem Tischchen ausbreitete. Das Licht der oberhalb des Telefons angebrachten kleinen Lampe fiel auf das Papier. Er nahm den Hörer ab, drückte ihn Herles in die Hand, wählte die Nummer.
Die drei Köpfe steckten so dicht beieinander, daß es aussah, als holten sich da drei Männer das Feuer für ihre Zigaretten von ein und demselben Streichholz.
»EL CASTILLO, buenas noches « , hörten sie.
»Con Javier, por favor « , sagte Herles.
Es dauerte eine Weile, bis Hentschel junior geholt worden war. Nachdem er sich gemeldet hatte, sagte Herles, und seine unter Ächzen und Stöhnen vorgebrachten Worte klangen erbarmungswürdiger denn je:
»Javier … , hier ist Rüdiger. Du … , du mußt mir helfen, sofort, mußt mich hier wegholen … , ich bin schwer verletzt. Sie haben mich erwischt … , aber eben konnte ich flüchten.«
»Wo bist du?«
Hemmerich und Maschke konnten Javier, der das Deutsche zwar mit leichtem Akzent, aber sonst fehlerfrei sprach, gut verstehen.
»In einer Telefonzelle vom Club ROCA LLISA. Wenn du die Clubstraße fast bis zum Ende durchfährst, dann siehst du … , wenn du am Transformatorenhaus vorbei bist, links in einer kleinen Seitenstraße die Zelle. Sie ist beleuchtet. Bitte … , hol mich sofort …! Sie haben mir … , haben mir mit einem Stein … ein Schulterblatt kaputtgeschlagen. Ich kann … , kann vor Schmerzen kaum sprechen. Bitte, komm sofort!«
»Wo sind Hemmerich und das Mädchen?«
»Weggefahren. Und als ich allein war … , konnte ich meine Fesseln durchsäbeln. Aber komm! Du mußt mich zu einem Arzt bringen. Hab eben bei der Rezeption angerufen, damit der Pförtner dich durchläßt. Hab’ einfach gesagt, ich bin Hemmerich und daß ein Javier Hentschel mich besuchen wird. Hab’ auch gesagt, du kommst mit deinem Jeep. Mein Gott …« Jetzt inszenierte Herles, wie die Regie es vorsah, ein kleines Getöse in der engen Zelle, trommelte mit dem Hörer mehrmals gegen die gläserne Wand, schrie auf, schwieg.
»Rüdiger! Hallo, bist du noch da?«
»Ja. Bin hingefallen. Aber jetzt sitze ich ganz gut hier.«
»Bist du sicher, daß Hemmerich nicht in der Nähe ist? Soll ich ein paar Leute mitbringen? Nur dauert es dann länger, weil ich sie erst holen muß.«
»Nein … , ist nicht nötig … , komm sofort! Und wenn Hemmerich wirklich zurück sein sollte, sitzt er nicht in dieser Ecke
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