1980 Die Ibiza-Spur (SM)
Karte um, so daß der Plan von Ibiza-Stadt zu sehen war. »Und da liegt das EL CASTILLO, wo Javier Hentschel fast immer anzutreffen ist.« Noch einmal drehte er das Blatt um, und dann zeigte er Maschke den Ankerplatz der AURORA. »Ein gemeines Gefühl«, sagte er, »zu wissen, da liegt Victor, an Händen und Füßen gefesselt, zwischen Flinten, Patronen und Handgranaten.«
»Gut, daß du es erwähnst. Das macht es mir leichter. Was ich vorhabe, ist nämlich ein bißchen brutal.« Maschke nahm einen Schluck von seinem Scotch, und eine Viertelstunde später hatte er seinem Zuhörer auseinandergesetzt, wie er sich den noch für den gleichen Abend geplanten Handstreich gegen Javier Hentschel vorstellte. »Aber erst«, sagte er dann, »ist noch ein kleiner Plausch mit unserem Gefangenen fällig, sonst machen wir womöglich die Rechnung ohne den Wirt. Komm!«
Sie hatten zwei der Gartenstühle aufgeklappt, saßen eine Weile still wie Krankenschwestern neben der Pritsche, dann rückte Jupp Maschke ein Stück näher an die Pritsche heran, beugte sich hinunter zu dem fiebrigen Kopf und sagte: »Du mußt jetzt gut zuhören. Wir wollen deine Mithilfe, aber wir haben nicht so viel Zeit, daß wir erst einen langen psychologischen Feldzug gegen eventuelle Querköpfigkeit führen können, also müssen ein paar einführende Worte genügen. Wir wollen Javier haben! Den brauchen wir, damit wir unseren Mann wiederkriegen, Victor Hemmerich. Du wirst also mit Javier telefonieren und ihn bitten, daß er dich irgendwo abholt. Während des Gesprächs stehen wir neben dir, und wenn du ein falsches Wort sagst, dann war es zugleich dein letztes. Bist du bereit, uns zu helfen?«
Maschke hatte ganz ruhig gesprochen, werbend fast, und das mochte in Rüdiger Herles den Eindruck erweckt haben, ihm bliebe tatsächlich eine Wahl. So antwortete er: »Nein. Ich bin zu fast allem bereit, wenn ich sehe, daß es keinen Sinn mehr hat, sich zu weigern, aber euch meinen Freund ans Messer liefern, das tu ich nicht.«
Das Sprechen machte ihm Schwierigkeiten. Er stöhnte die Worte heraus, machte längere Pausen, atmete schwer.
»Nicht ans Messer«, antwortete Maschke. »Wir sind, im Gegensatz zu euch, keine Mörder.« Er sprach immer noch ruhig, ja, wie es schien, immer noch wohlwollend. »Dir muß doch einleuchten, daß wir deinen Javier nicht umbringen wollen. Wir brauchen ihn, wollen ihn lebend zurückgeben, damit auch wir unseren Mann lebend zurückbekommen.«
»Aber wenn Hentschel auf den Handel nicht eingeht«, antwortete Herles, »dann habe ich Javier doch ans Messer geliefert.«
»Nein, nicht du! Dann ist es der Vater, der das tut.«
Daraufhin schwieg Herles. Er versuchte eine kleine Bewegung, um die verletzte Schulter zu entlasten, drehte den Oberkörper ein wenig, stöhnte. Als dann immer noch keine Antwort kam, sagte Maschke, und es klang, als spräche da plötzlich ein anderer, so kalt, so zynisch kamen seine Worte: »In der Schule hast du sicher gelernt, daß der Mensch zwei Schultern hat, eine linke, eine rechte. Und du weißt auch, daß der Stein, den die Dame benutzt hat, einer ist von tausend, die draußen vor der Tür herumliegen. Wir brauchen also bloß rauszugehen, brauchen bestimmt nicht lange zu suchen. Ach, und noch etwas. Wir sind, wie ich es dir schon sagte, von der Mentalität her keine Killer. Wir quälen nicht gern, weder Menschen noch Tiere. Als Kind hab’ ich mal einer Katze eine Blechdose an den Schwanz gebunden. Dafür hat mein Vater mich so wundgeschlagen, daß ich ein paar Tage nicht in die Schule konnte. Verdammt, nun mach ich doch so viele Worte und wollte es eigentlich nicht. Aber ich muß dich ja überzeugen. Machen wir’s kurz. Es war das einzige Mal, daß mein Vater mich geschlagen hat. Es war auch das einzige Mal, daß ich ein Tier gequält habe. Ich quäle also nicht gern, Tiere nie und Menschen nie ohne Grund. Javier ist dein Freund, und du bist also bereit, für ihn eine Menge auf dich zu nehmen, auch die Zertrümmerung deiner zweiten Schulter. Dazu kann ich nur sagen. Victor Hemmerich ist mein Freund, und auch ich bin bereit, um seinetwillen eine Menge auf mich zu nehmen, auch die Zertrümmerung deiner zweiten Schulter. Ich gebe dir genau dreißig Sekunden für deine Antwort.« Er sah auf die Uhr. »Klaus, hol mal den Stein!«
Klaus Hemmerich war noch nicht aus dem Zimmer, da sagte Herles, und es kam ganz leise von seinen Lippen: »Okay, ich mache mit.«
XXXI.
Diesmal war der Mond über Ibiza launisch. Immer
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