1980 Die Ibiza-Spur (SM)
andere, ist dann wie die, in der Victor sich befand. Und was das bedeutet, wissen wir. Sollten wir also bei den Auskünften, die uns dieser Caballero gibt, auf Ungereimtheiten stoßen, müssen wir sie einfach schlucken. Fürs erste geht es um nichts weiter als ein unverdächtiges Motiv, Nachforschungen anzustellen.
Was für Menschen sind es, mit denen wir es hier zu tun haben? Nun, da Klaus Hemmerich bereits auf ihrem Terrain war, stellte er sich diese Frage noch einmal mit aller Eindringlichkeit. Am Tag vor dem Abflug war er bei Bert Naumann gewesen, und der Redakteur hatte ihn in groben Zügen ins Bild gesetzt.
Nach Naumanns Darstellung, die er nun Punkt für Punkt aus der Erinnerung heraufholte, gab es den Neonazismus seit dem Tage, an dem der Nazismus aufgehört hatte, legal zu existieren. Das hieß, die Anfang der Zwanziger Jahre entstandene und 1933 zur Macht gelangte Bewegung war im Frühjahr 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation nicht tot. Sie war vorläufig zum Schweigen gebracht, aber im geheimen griff sie auf die Nachkriegsära über, und sei es auch nur, daß ihr Gedankengut in den Köpfen einiger Unbelehrbarer weiter herumgeisterte. Diese Relikte, die mehr mit Emotionen zu tun hatten als mit politischem Verstand, bildeten den Nährboden, der zwar noch einige Jahre brachlag, aus dem dann aber, einhergehend mit der allgemeinen deutschen Regeneration, neue Keime wuchsen. Wie Sumpfblüten kamen sie hoch, die einzelnen, längst nicht immer koordinierten Gruppen.
Und heute, sechsunddreißig Jahre nach dem großdeutschen Desaster, sind sie zu Verbänden mit bedrohlicher Wirkung angewachsen. Ihre Ziele? Sie wollen die soldatischen Tugenden der Deutschen nicht in Vergessenheit geraten lassen, lehnen liberale und demokratische Bestrebungen wie überhaupt jede Form von Parlamentarismus als morbide ab und propagieren statt dessen das Führerprinzip, das auf Disziplin und Gehorsam basierende autoritäre System. Dabei spielt die Besinnung auf das Nationale bis hin zu rassistischer Tendenz und Ausländerhaß eine entscheidende Rolle. Wie gehabt.
»Als ob wir davon«, so hatte Bert Naumann sich entsetzt, »nicht schon übergenug auf dem Gewissen hatten!« Und dann hatte er seiner Empörung Luft gemacht mit den Worten: »Dieselben hohlen Parolen vom Herrenvolk hier und von den Minderwertigen dort. Dieselbe Torheit! Dieselbe Arroganz!«
Jahrelang ist es ein Wirken im Untergrund, ein Schwelen. Doch plötzlich treten sie auf. Fordern. Gründen ihre Vereine und halten ihre Versammlungen ab. Propagieren, mehr oder minder unverblümt, was längst als Irrtum und Verbrechen erkannt ist. Marschieren. Demonstrieren. Provozieren. Verschaffen sich Waffen, bilden Kader, schulen ihre Männer. Und schlagen zu. Punktuell. Flugblätter-Aktionen, Prügeleien, Waffendiebstähle, Mordanschläge. Die kriminelle Substanz wird sichtbar. Der Terror. Und plötzlich ist der Rechtsextremismus zu einer ebenso großen Gefahr geworden wie der Aufstand von links. Er hat sich das Ziel gesetzt, eine über Deutschlands Grenzen hinaus wirksame paramilitärische Organisation zu bilden, um mit ihrer Hilfe die Demokratie auszuhöhlen.
Und dann hatte Naumann ihm von der bald nach dem Kriege ins Leben gerufenen Gruppe ODESSA erzählt, jener Organisation ehemaliger SS-Angehöriger, die darauf programmiert war, die Mitglieder der im Nürnberger Prozeß zur verbrecherischen Organisation erklärten SS bei der unverdächtigen Eingliederung ins zivile Leben zu unterstützen. Sie half den Verfolgten materiell und verschaffte ihnen Fluchtmöglichkeiten. Auf diese Weise wurde manch einer, den man in Deutschland suchte, nach Südamerika geschleust. Naumann nannte auch Beispiele, so die Flucht des ehemaligen KZ-Kommandanten Gustav Franz Wagner. Brasilien, das Land, in das dieser Mann ging, lehnte das Auslieferungsersuchen der Bundesrepublik ab. Und vom Fall Kappler erzählte Naumann. Der frühere SS-Obersturmbannführer war von den Italienern zu lebenslanger Haft verurteilt worden, weil er 1944 als Polizeichef von Rom einen Sabotageakt des italienischen Widerstands damit ahndete, daß er für jeden getöteten Deutschen zehn Italiener liquidieren ließ, das waren dreihundertdreißig Menschen. Im Jahre 1977 wurde Kappler, der als kranker Mann in einem italienischen Militärhospital lag, in einer Nacht- und Nebelaktion von einer Gruppe deutscher Gesinnungsgenossen befreit. Dieser Coup, so hatte Naumann die Aktion genannt, war generalstabsmäßig vorbereitet und
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