1980 Die Ibiza-Spur (SM)
Außer den jüngsten Meldungen über das Fahrstuhl-Attentat gab es Berichte über Anschläge in Amsterdam, Paris und Frankfurt.
Klaus Hemmerich hatte es vorgezogen, Naumann Victors Brief nicht zu zeigen. Er hatte ihn zwar bei sich gehabt und ihn dem Redakteur auch vorlegen wollen, sich dann aber eines anderen besonnen. Die quirlige Atmosphäre der Presse-Etage, das hektische Hin und Her zwischen den einzelnen Büros, die sechs, sieben Telefonate, die sein Gespräch mit dem Redakteur unterbrachen, und nicht zuletzt die auf dem Tisch liegenden Materialien hatten in ihm die Befürchtung aufkommen lassen, Naumann würde, sobald er den Brief gelesen hatte, einen Mann oder gar ein Team nach Ibiza in Marsch setzen. Eine solche Aktivität aber hatte ein behutsames Herantasten an die Szene, wie er es plante, gefährden können. So waren die für einen Pressefuchs vom Schlage Naumanns bestimmt hochinteressanten Aufzeichnungen aus dem Turmzimmer des CASTILLO in seiner Tasche verblieben, und er hatte sich darauf beschränkt, vage von der Möglichkeit neonazistischer Umtriebe zu sprechen, in die sein Bruder vielleicht hineingeraten sei.
Nun fragte er sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, einen besonnenen und im Außendienst erfahrenen Reporter mitzunehmen. Vielleicht hätte man sich darauf geeinigt, daß der Mann den Verlauf der Nachforschungen verfolgen und nur im Notfall zur Unterstützung und zum Schutz herangezogen werden sollte. Aber dann sagte er sich, Naumann wäre wohl kaum bereit gewesen, ihm, der sich auf einem ganz privaten Feldzug befand, einen gut bezahlten Journalisten lediglich als Leibwache mitzugeben. Nein, die Aktion mußte so durchgeführt werden, wie sie nun mal vorgesehen war. Es genügte, daß er Christiane mit hineingezogen hatte.
Erst gegen zwei Uhr – die Stadt zu seinen Füßen war allmählich zur Ruhe gekommen – legte er sich hin, aber bis er dann endlich einschlief, war eine weitere Stunde vergangen.
X.
Sie waren spät aufgestanden, aber als sie herunterkamen und auf die Hotelterrasse hinaustraten, waren die meisten der Frühstückstische immer noch besetzt. Sie wußten es beide von früheren Reisen her. Am Mittelmeer, überhaupt im Süden, haben die Tage einen anderen Rhythmus als in Hamburg.
Während sie durch die Reihen gingen, um sich einen Platz zu suchen, hörten sie neben dem Spanischen auch Englisch und Deutsch. Von den Tischen an der Terrassenbrüstung, die einen unverstellten Blick auf Stadt und Hafen gewährten, war nur noch einer frei. Der Kellner wollte sie dorthin dirigieren, aber sie nahmen den Platz nicht, suchten sich einen mit weniger Nachbarschaft.
Sie setzten sich, und als Kaffee und Toast gebracht worden waren, sprachen sie noch einmal in gedämpftem Ton über ihren Plan.
»Im Grunde«, sagte Klaus, »komme ich mir albern vor mit unserem Trick, dich zu Victors Schwester zu machen und mich zu seinem Schwager. Ein Rollentausch wie in einem Bühnenstück. Fast so, als wär’ alles nur ein großer Jux. Aber ich habe hin und her überlegt. Wir haben keine Wahl, es sei denn, wir geben zu, uns erst mal mit falschen Namen eingetragen zu haben. Doch sobald Hentschel das erfährt, tickt es natürlich in seinem Hinterkopf, und darum bleibt uns nichts anderes übrig, als dieses seltsame Spiel zu spielen. Nur müssen wir höllisch aufpassen, daß wir uns nicht verraten.«
»Wie hast du denn das Anmeldeformular ausgefüllt?« fragte Christiane. »Mußtest du bei mir nicht einen Mädchennamen angeben?«
»Ich hab’ das ziemlich lax gemacht: Klaus Mehring und Ehefrau Christiane. Fertig.«
»Was erwartest du eigentlich von dem Gespräch mit diesem Guillermo Hentschel?« wollte Christiane wissen, und die Skepsis, die in ihrem Tonfall mitschwang, war nicht zu überhören.
»Natürlich keinen wirklichen Aufschluß, aber doch wenigstens ein indirektes Ergebnis. Nach unserer Unterredung mit ihm können wir jeden befragen. Wir fangen mit den Zimmermädchen an, fragen die Kellner aus, die Leute an der Rezeption, und dann lassen wir uns Namen nennen von Gästen, die zu Victors Zeit hier waren. Und erst etwas später, in drei oder vier Tagen, sehen wir uns die Orte an, die Victor in seinem Brief erwähnt hat.«
»Du meinst das Geschäft dieser Julia Potter, den
Tennisclub und die Mine?«
»Ja.«
»Dann befürchte ich, daß uns die ersten Tage keinen einzigen Schritt voranbringen. Du hast recht, vom Chef erfahren wir mit Sicherheit nichts. Vielleicht wird er sich unsere Klagen
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