1980 Die Ibiza-Spur (SM)
Nachtglas und Pistole in die Felsen geklettert, um sich dort, einige Meter oberhalb ihres kleinen Sonnen-Plateaus, in einer Nische zu verkriechen. Vorher hatte er, noch bei Tageslicht, einen Teil des Gepäcks aus dem Bungalow geholt, es ins Auto geladen und den Wagen in einen anderen Bezirk des weitläufigen Club-Geländes gefahren. Es gab im ROCA LLISA mehrere sogenannte Urbanizacions, also Häusergruppen, die wie kleine autarke Siedlungen über das Terrain verteilt lagen. Sie hatten sogar eigene Namen, zum Beispiel Viviendas Jardin, Casas del Mar, Viviendas Puerto. Ihr Bungalow gehörte zu den Casas del Mar, den direkt am Meer gelegenen Häusern. Er hatte den Peugeot in die Nachbarsiedlung Viviendas Jardin gebracht und ihn dort abgestellt. Dann war er zu Fuß zurückgekehrt.
Auch an dieser Aktion, der Sicherstellung ihrer persönlichen Habe, hatte er eine Plankorrektur vorgenommen. Mit Christiane war vereinbart worden, den Bungalow einfach zu räumen. Nun hatte er nur die wertvollsten Dinge, einen Ledermantel, etwas Schmuck, einen Anzug, einen Fotoapparat und noch einiges mehr herausgeholt, im ganzen jedoch den Eindruck belassen, das Haus sei bewohnt. Das schien ihm für sein weiteres Vorgehen nützlicher als die totale Räumung, denn der Anblick bewohnter Zimmer, so war seine Überlegung gewesen, würde Hentschels Leute vielleicht davon abhalten, woanders nach ihnen zu suchen. Außerdem. Wenn am nächsten Morgen das Zimmermädchen in ein verlassenes Haus käme, gerieten sie womöglich in den Verdacht der Prellerei, würden am Ende von der Club-Direktion angezeigt werden und müßten dann auch noch mit polizeilichen Nachforschungen rechnen. Und den ClubManager etwa einweihen, das wollte er auch nicht. So waren also ein paar Kleidungsstücke und auch eine überzeugende Auswahl an Toilettenartikeln dort verblieben.
Er rauchte, hielt aber seine Zigarette so, daß der Glutkopf nicht zu sehen war. Vielleicht, dachte er, ist es verrückt, was ich hier mache, vielleicht ist es die Übertreibung der Amateure, die in ihrem Dilettantismus die Lage falsch einschätzen und übers Ziel schießen. Doch im Grunde glaubte er ziemlich fest daran, daß sie kämen, ja sogar, daß sie in dieser Nacht kamen, denn der Zwischenfall mit dem Tauchgerät hatte gezeigt, wie schnell sie waren. Auch der prompte Anruf des Verkäufers und vor allem die Durchgabe des Autokennzeichens ließen eine spontane Reaktion vermuten. Und schließlich enthielt ja auch Victors Brief einen ganzen Katalog von Fakten, die für die Aktionsbereitschaft der BRAUNEN KOLONNE und für die Gefährlichkeit sprachen.
Er hockte, die Wolldecke über die Schultern gespannt, im Schneidersitz da wie ein Trapper, der sein Camp bewacht. Es war viel heller als in den Nächten davor. Über Formentera hing der Mond, und nur weit unterhalb seines fahlgelben Halbrunds, in Horizontnähe, gab es ein paar schwarze Wolkenbänder. Es war auch kühler als sonst. Er schenkte sich vom Kaffee ein, trank.
Was in diesen Stunden des Wartens in seinem Kopf umging, war weniger das Erwägen einzelner taktischer Schritte, mit denen er von nun an gegen Hentschel und seine Männer operieren würde, als vielmehr die grundsätzliche Analyse seiner Situation. Was durfte er überhaupt unternehmen? Ihm waren mehrere Beispiele von Selbstjustiz bekannt, vor allem ein Fall war ihm in deutlicher Erinnerung, denn über ihn hatte er erst kürzlich an Bord in einer deutschen Zeitung gelesen. Da wurde berichtet, daß eine Frau den Mörder ihres Kindes erschossen hatte. Im Gerichtssaal. Kurz vor Verhandlungsbeginn. Sie hatte, während die im Saal versammelte Menge auf das Eintreten der Richter wartete, plötzlich eine Waffe aus ihrer Handtasche gezogen und das ganze Magazin auf den Angeklagten abgefeuert. Sie wurde festgenommen und aus dem Saal geführt.
Während eines Gesprächs in der Offiziersmesse hatte er sich auf die Seite der Mutter geschlagen, hatte vor dem Kapitän, der anderer Meinung gewesen war, ein leidenschaftliches Plädoyer für sie gehalten, das ihm jetzt, da er auf die Häscher seines Bruders wartete, fast wörtlich wieder in den Sinn kam:
Es muß nicht Rache gewesen sein, von der es immer heißt, sie sei nicht unsere Aufgabe. Ich bin sicher, es ist viel mehr, und es spielt sich nicht nur im Kopf ab. Natürlich, die Mutter plant und bereitet vor, erkundet die Möglichkeiten und Mittel, erwägt Ort und Zeit. Und alles, was sie tut, hat den Anschein eines vom blanken Haß diktierten
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