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1980 Die Ibiza-Spur (SM)

1980 Die Ibiza-Spur (SM)

Titel: 1980 Die Ibiza-Spur (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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vom Oktoberfest sah aus wie ein schüchterner Gymnasiast. Aber so neu ist das alles ja gar nicht. Denk an die Hitler-Ära! Der größte Terror der Menschheitsgeschichte, und die, die ihn ausübten, waren zum großen Teil, jedenfalls vorher, biedere Bürger. Himmler sah aus wie ein Buchhalter, Eichmann, jedenfalls in seinen jungen Jahren, wie ein mecklenburgischer Junker, und selbst Hitler verriet seine Dämonie erst, wenn er hysterisch wurde, auf vielen Photos, vor allem, wenn er Kinderhände drückt, zeigt er das Lächeln eines gütigen Landesvaters. Aber ich schweife ab. Ich muß jetzt zu unserem Gefangenen. Du kommst besser nicht mit, wer weiß, vielleicht stellt er sich auf ein ganz mildes Klima ein, wenn er hier schöne Frauen herumlaufen sieht.«
»Na, na! Und dann gleich im Plural?«
Klaus verließ das Wohnzimmer, trat in die Küche, an die
    sich, verbunden durch eine Schwingtür, die Servidumbre anschloß. Er ging eine Weile in der Küche auf und ab, fast so, als müsse er erst Härte und Kälte sammeln, um für die Begegnung mit Rüdiger Herles gewappnet zu sein. Als er dann endlich das Nebenzimmer betrat, bot ihm der Gefangene einen erbärmlichen Anblick. Er lag, leicht gekrümmt, auf der Seite, mit dem Blick zur Tür. Die auf dem Rücken zusammengebundenen Arme und die leicht angezogenen Knie gaben dem an sich sportlichen Körper etwas Gnomenhaftes, und der mit einem buntkarierten Handtuch umwickelte Kopf erinnerte an einen Clown oder auch an Zahnschmerzen, wie Wilhelm Busch sie dargestellt haben könnte.
    Hemmerich klappte einen der Gartenstühle auf, setzte sich, zündete sich eine Zigarette an. Als er sie halb zu Ende geraucht hatte, trat er sie auf dem steinernen Fußboden aus. Dann beugte er sich über den Gefangenen, löste den Knoten des Handtuchs und zog Herles den Knebel, ein zusammengeknülltes Taschentuch, aus dem Mund. Er setzte sich wieder, sagte:
    »Wahrscheinlich gehört es zu eurer Dienstauffassung, in einer Lage wie dieser um jeden Preis zu schweigen. Du wirst jetzt dieses Prinzip durchbrechen oder in Zukunft als Krüppel dein Dasein fristen. Das ist keine leere Drohung, denn ich bin weiß Gott nicht nach Ibiza gekommen, um Sprüche zu machen. Also. Welchen Auftrag hattet ihr, als ihr heute nacht in den Bungalow kamt?«
    Herles machte zwar mit Zunge und Lippen ein paar Bewegungen, aber danach kam nichts. Er schwieg.
»Hast du vergessen, daß ich alles nur einmal sage?« Hemmerich griff über den Gefangenen hinweg, packte die verschnürten Hände, zog sie nach oben, fast bis an die Schultern. Es knackte in den Gelenken, und Herles stöhnte auf, doch Hemmerich wollte, was er jetzt zu tun hatte, lieber nur einmal und dann möglichst wirkungsvoll machen, statt es immer von neuem und nur halbherzig zu betreiben. So ließ er nicht locker, im Gegenteil, er zog die gefesselten Hände noch einmal weit nach oben. Herles schrie, aber Hemmerich sagte, und er erschrak selbst vor der Kälte in seiner Stimme:
»Ich werde dich zerbrechen! Buchstäblich zerbrechen!«
»Nein!«
»Also?«
»Wir sollten Sie und die Frau abholen.«
»Abholen ist ein weiter Begriff. Doch wohl nicht zum Tee oder zu einer Fiesta. Wozu also?« Hemmerich hatte von den verschnürten Händen abgelassen und sich wieder gesetzt. Der Gefangene bewegte seine Schultern. Es sah aus, als räkelte er sich. »Wir sollten Sie gefangennehmen.«
»Gefangennehmen? Führt ihr einen Krieg?«
»In gewisser Weise, ja.«
»Okay, eure hirnverbrannte Ideologie ist später dran. Was sollte mit uns geschehen?«
»Das weiß ich nicht. Ehrlich. Wenn Sie auch entschlossen sind, mich durch Foltern mürbe zu machen, müssen Sie trotzdem akzeptieren, daß es Dinge gibt, die ich wirklich nicht weiß. Und was mit Ihnen gemacht werden sollte, weiß ich nicht.«
Hemmerich schwieg. Er zündete sich eine neue Zigarette an, und unvermittelt, quasi auf einer Wolke ausgeblasenen Rauches, kam die Frage:
»Wo ist mein Bruder Victor Hemmerich?«
»Auch das weiß ich nicht. Ich kenne diesen Namen nicht.«
»Hast dir wohl eine Hintertür schaffen wollen, als du sagtest, ich hätte es zu akzeptieren, daß du das eine oder das andere nicht weißt. Du mußt zugeben, so läuft es nicht. Ich kann ja nicht nachprüfen, ob du etwas tatsächlich nicht weißt oder nur vorgibst, es nicht zu wissen.«
Hemmerich stand auf, und ohne Ankündigung packte er noch einmal die gefesselten Hände. Es war viel Zorn dabei, als er sie dem Gefangenen mit einem einzigen heftigen Ruck hochriß. Der

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