1980 Die Ibiza-Spur (SM)
ausgeführt hatte, zuerst, vielleicht, um sie so schnell wie möglich durch die nächste zu verdrängen.
»Das Attentat auf den Rechtsanwalt Pleskow. München. Das war erst vor ein paar Tagen. Wie es gemacht wurde, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß der Anschlag gelang. Pleskow ist tot.«
»Du bist doch gerade aus München gekommen, also …«
»Ich kann mir schon denken, was Sie sagen wollen, aber Irrtum! Ich hab in München was ganz anderes gemacht, hab Studenten für unsere Organisation geworben, im ganzen waren es fünf. Von der Sache mit Pleskow hab’ ich in der Zeitung gelesen und dann erst hier erfahren, daß es unsere Leute waren.« Das erschien Hemmerich glaubwürdig, und sein Irrtum bewahrte Herles vor neuer Qual.
»Wieviele Tote?«
»Zwei. Pleskow und einer von seinem Personal.«
»Weiter! Andere Fälle!«
»Vor zehn Tagen ein Bombenanschlag in der Kölner Innenstadt. Der Sprengsatz war in einem Fahrstuhl deponiert. Übrigens, damit sie nicht schlecht von mir denken. Ich plaudere hier keine Geheimnisse aus, denn unsere Organisation bekennt sich öffentlich zu ihren Anschlägen.«
»Wieviele Tote in Köln?«
»Siebzehn oder achtzehn. Aber die, die gemeint gewesen waren, traf es nicht.«
»Ich hab’ davon gelesen. Ist dir immer noch nicht klar, was für Schweine ihr seid? Schmeißt eure Bomben wahllos in die Menge. Auf ein paar Tote mehr oder weniger kommt es euch nicht an. Was, wenn deine Mutter dabei gewesen wäre?«
Herles schwieg.
»Antworte!« Hemmerich machte Anstalten, aufzustehen, da kamen ganz schnell die Worte: »Dann würde sie zu den Opfern gehören, wie jede Revolution sie erfordert. Ich hätte das bedauert, aber deswegen doch nicht unsere Sache in Frage gestellt.«
»Du bist ein ganz mieser Sohn, wie du ein ganz mieser Staatsbürger bist. Weiter!«
»Ein Anschlag auf ein jüdisches Informationszentrum in Paris. Nur Sachschaden. Im vorigen Jahr waren es vier gelungene Aktionen und ein Fehlschlag. Eine Handgranate in Tel Aviv. Drei Tote und sieben Verletzte. Ein Coup auf einem Nato-Truppenübungsplatz in der Lüneburger Heide. Keine Toten, keine Verletzten, aber reiche Beute. Waffen und Munition. Ein Anschlag auf ein jüdisches Juweliergeschäft in Frankfurt. Der Laden brannte total aus. Schaden: 800000 Mark. Und in Amsterdam ist es uns gelungen, ein ganzes Regal mit NS-Prozeßunterlagen zu vernichten. Auf diesen Erfolg sind wir besonders stolz, denn die Akten lagerten in einem Tressorraum. Ihr Verlust bewahrt wahrscheinlich ein Dutzend in Ehren alt gewordener SSMänner vor der Verurteilung.«
»Und der Fehlschlag?«
»Ein NITROPENTA-Sprengsatz, der nicht rechtzeitig zündete. Er hing als Haftladung unter einem Helikopter, der eine Handvoll hoher Gewerkschaftsfunktionäre von Frankfurt nach Bonn brachte. Die Maschine explodierte lange nach dem Transport, als kein Mensch mehr an Bord oder auch nur in ihrer Nähe war.« Herles verstummte. Er hatte diesen mörderischen Katalog heruntergerasselt, als handle es sich um eine Auflistung geschäftlicher oder privater, jedenfalls friedfertiger Erfolge.
Es schauderte Hemmerich vor der Gelassenheit, mit der hier die Toten aufgezählt worden waren. Er stand auf, trat dicht an das schmale Bett heran, griff aber diesmal nicht nach den gefesselten Händen, sah nur voller Abscheu auf seinen Gefangenen herab. »Ich werde«, sagte er, »dich nicht ändern können. Es würde mir bestimmt nicht gelingen, dich davon zu überzeugen, daß ihr nicht Revolutionäre, sondern primitive Mörder seid, ganz obenan Guillermo Hentschel, der, nur weil er den Untergang des Nazi-Regimes und den Verlust seiner Herrenrolle nicht verwindet, mit der Jagd auf Andersdenkende weitermacht. Ich werde auch ihn nicht ändern können, aber eines traue ich mir zu, meinen Bruder zu befreien! Das werde ich tun, und ich werde kein Mittel scheuen, mein Ziel zu erreichen. Du bist der erste von Hentschels Männern, der mir in die Hände gekommen ist. Diesen Trumpf werde ich mir zunutze machen und dabei vor nichts zurückschrecken. Ich bin einfach überfordert, wenn man von mir verlangt, das Leben kaltblütiger Mörder zu respektieren, und entsprechend gehe ich mit diesem Leben um, vernichte es notfalls, und aller Voraussicht nach ist deins das erste, weil ich es nun mal in meiner Gewalt habe.
Aber du hast eine Chance, und ich rate dir, sie zu nutzen! Mit deiner Hilfe will ich meinen Bruder befreien. Ich will von dir wissen, wie ich in den Stollen hineinkomme, will wissen, wie es da unten
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