1981 - Richard
Hillburne Avenue 46 , die jetzt Old-Hillburne-Street hieß. Die Worte waren handgeschrieben, mit einer klaren, exakten Schrift. Florence nahm den Brief und drehte den Umschlag. Auf der Rückseite war in etwas kleineren Buchstaben, aber mit derselben exakten Handschrift der Absender aufgeschrieben. Es war aber nicht die Rue Mandar, wie Florence und Georg vermutet hätten.
»L iverpool« , las Georg laut vor.
Er deutete Florence an, das Kuvert noch einmal umzudrehen. Wie es Jane schon gesagt hatte, der Brief war 1952, genau am 9. Dezember abgestempelt worden. Der Poststempel trug die Aufschrift »Gayton District of Liverpool« .
»Schade, ich hätte gedacht, sie wäre zu ihrer Schwester gezogen.«
»Anscheinend nicht«, sagte Georg nachdenklich. »Aber das finde ich eigentlich gar nicht so schlimm. In Paris, in der Rue Mandar war ich schließlich schon und habe außer der alten Postkarte keine weitere Spur von Julie Jasoline gefunden. Mit der Adresse in Liverpool hätten wir einen neuen Anlaufpunkt.«
»Sie sind schon einmal in Europa gewesen, in Paris ?«, fragte Jane fasziniert.
Georg sah sie an. »Ich komme aus Europa . Ich lebe in München , in Deutschland .«
»Von München habe ich schon einmal gehört«, sagte Jane. »Unser Russel war 1972 bei den Olympischen Spielen als Zuschauer in München. Er hat uns damals einen Brief geschrieben. Warten sie, ich habe ihn auch hier.«
Jane zupfte wieder an dem Bündel. Nach dem Brief, den sie meinte, brauchte sie nicht lange zu suchen. Es war ein gefaltetes Kuvert. Auf der einen Hälfte der Vorderseite war der Brief mit einer riesigen Briefmarke beklebt. Es war ein Markenblock, der aus mehreren einzelnen Briefmarken bestand, die zusammen das Münchner Olympiastadion zeigten. Für einen Briefmarkensammler sicherlich ein interessantes Objekt, zumal die australische Post ebenfalls mit einem Stempel aufgewartet hatte. Georg ließ sich den Umschlag von der begeisterten Jane zeigen. Er lächelte höflich. Er hatte jedoch für Philatelie keine Nerven. Er wandte sich wieder dem Brief von Julie Jasoline zu.
»Ich möchte nicht neugierig sein«, begann er, »aber was schreibt Madame Jasoline denn aus ihrer neuen Heimat?«
»Oh, damit habe ich keine Probleme«, antwortete Jane. »Machen sie den Umschlag ruhig auf und lesen sie selbst. Aber nicht hier. Kommen sie bitte herein. Wir stehen schon viel zu lange hier draußen im Flur. Bob hast du auch noch Zeit mitzukommen?«
Natürlich verstand Bob. Natürlich hatte er noch Zeit, er nahm sie sich jetzt einfach, obwohl er es vorhin eigentlich sehr eilig gehabt hatte. So gut kannte Jane die beiden Fremden noch nicht, als dass sie mit Ihnen allein sein wollte. Sie gingen in ein helles Wohnzimmer, dessen Fenster nicht zur Straßenseite, sondern in einen Garten hinter dem Haus zeigten. Die Einrichtungen von Wohnzimmern schienen auf der ganzen Welt identisch zu sein. Um einen Tisch gruppierten sich ein Sofa und zwei Sessel. An einer der Wände erstreckte sich ein Wohnzimmerschrank. Florence und Georg nahmen auf dem Sofa Platz. Florence hielt noch immer den Umschlag in der Hand. Jane nickte ihr zu. Florence öffnete den Brief und holte zwei leichte, eng beschriebene Blätter heraus. Sie begann zu lesen.
»Lesen sie bitte laut«, bat Jane. »Ich habe den Brief selbst jahrelang nicht in der Hand gehabt. Ich möchte es noch einmal hören.«
Florence begann zu lesen. Ihr französischer Akzent, mit dem sie die englischen Worte betonte, hatten in Georgs Ohren einen, wie er fand schönen, ja beinahe lieblichen Klang. Es fiel ihm sonst nicht auf, wenn er mit ihr Französisch sprach, jetzt berührte es ihn irgendwie. Er musste sofort wieder an den vergangenen Abend denken, als sie sich durch Zufall im Caf é Jacques getroffen hatten. Florence las den gesamten Brief laut vor. Julie Jasoline konnte gut mit Worten umgehen. Zunächst entschuldigte sie sich, dass sie so lange nichts von sich hören ließ. Sie beschrieb ihre Reise nach Europa . Von Sydney aus war sie nach Neuseeland geflogen. Sie hatte noch einmal das Grab ihres Vaters besucht. Von Auckland aus hatte sie ein Schiff nach Tahiti genommen. Sie erwähnte dann auch die Marquesas.
...ich wollte nach Ua Huka, ich musste nach Ua Huka. Ich habe Euch doch von meiner Insel erzählt. Wer weiß, ob ich jemals wieder dorthin zurückkehren würde, wenn ich erst einmal in Europa war...
»Moment einmal«, sagte Georg. »J ulie Jasoline war also im September 1950 auf Ua Huka , wie sie in
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