1981 - Richard
für Thomas.«
»Wann ist er geboren, geht das irgendwie aus den Briefen hervor?«
»Er tauchte gleich in den ersten Briefen auf«, erklärte Florence. »Ich habe alles Oben auf meinem Zimmer. Du kannst dir nachher die Passagen durchlesen. Im Jahre 1912 muss er noch ein Säugling gewesen sein, denn sie schreibt über seine Krankheiten, über einen Hautausschlag, den er von seinen Windeln bekommen hat.«
»Sie schreibt über seine Windeln und über seinen Hautausschlag?«, fragte Georg ungläubig.
»Mütter tun das«, antwortete Florence. »Aber sie schreibt auch über seine Streiche und Launen.«
»Und kommt auch der Vater des Kindes vor?«
»Nein!«
»Also, dieser Tom wird so um 1912 geboren. Vielleicht ist das der Grund, warum Julie nicht mit zur Hochzeit ihrer Schwester nach Frankreich fährt. Sie muss das Kind versorgen, er ist noch zu klein für die lange Reise.«
»Das wäre eine Erklärung«, sagte Florence nachdenklich.
»Und es gibt sonst keinen Hinweis auf den Familienzuwachs? Schreibt sie denn vorher auch über die Geburt oder die Schwangerschaft?«
»Der vom Datum her erste Brief, den wir haben, stammt aus der Zeit, als das Kind wohl schon auf der Welt war«, antwortete Florence.
»Und der letzte Brief stammt von 1927?«, fragte Georg. »Glaubst du denn, es gibt noch weitere Briefe?«
Florence nickte. »Ich glaube schon. Sie hat sehr regelmäßig geschrieben. Jemand der das macht, hört nicht irgendwann auf, nicht, solange es noch Menschen gibt, denen sie schreiben konnte. Es gab wahrscheinlich noch weitere Bündel mit Briefen, die sie eben nicht vergessen hat, als sie von Australien wegging.« Florence überlegte. »Colette, Colette Halter, Simons Frau, ist auch so ein Typ. Wir schreiben uns heute natürlich nur noch E-Mails, aber früher hat sie mir regelmäßig Briefe geschickt, auch wenn ich ihr nicht immer jeden gleich beantwortet habe. Und ihre Briefe waren auch viel länger als meine. Sie hat über ihre Eltern, ihre Geschwister und später auch über das Kennenlernen mit Simon berichtet, eigentlich über alles. Es erinnert mich sehr an die Briefe von Julie.« Florence dachte kurz nach. »Ihr Vater, also Victor, muss wohl ab und zu längere Reisen unternommen haben. Julie hat eine ganze Zeit lang diese Briefmarken verwendet, die mit dem Umriss des australischen Kontinents und dem Känguru darauf. Sie hat die Orte in die Briefmarke eingezeichnet, die Orte, die Victor bereist hat und an die sie ihre Briefe geschickt hat.«
»Aber es fehlen die entscheidenden Jahre«, kommentierte Georg. »Was steht denn sonst noch so in all den Briefen?«
»Puh, das erzähle ich dir, sobald ich mich mit etwas essbarem eingedeckt habe«, sagte Florence.
Sie stand augenblicklich auf. Zuerst holte sie sich vom Buffet einen Teller mit zwei Brötchen und einen anderen mit Wurst, Käse und Butter. Von ihrem zweiten Gang kehrte sie mit einer Kanne Kaffee und einem Kännchen warmer Milch zurück. Georg hatte sich in der Zwischenzeit auch einen Nachschub an Kaffee und Brot mit Margarine besorgt. Florence schnitt ein Brötchen auf, beschmierte es mit Butter, belegte es mit Käse und begann zu erzählen.
»Gleich in den ersten Briefen schreibt sie an ihren Vater, sie schreibt alltägliche Dinge über ihr Leben in Brisbane . Zunächst habe ich nicht verstanden, warum sie das macht. Dann wurde mir klar, dass Victor eben auf Reisen ist. Er erwähnt Melbourne, Adelaide, Sydney und ich muss überlegen, Mackay, Townsville und auch Darwin. Ach ja, er war wohl auch auf Tasmanien, in Davonport. Er hat die gesamte Westküste bereist. Dann verlässt er Australien in Richtung Hawaii . Er berichtet an Julie über seine Recherchen und nennt einige Zeitungen, für die er schreibt. Er hat nicht nur als Journalist gearbeitet, er war auch eine Art Auslandskorrespondent für eine französische Zeitung.«
»Und die Mutter, Yvette, begleitet sie Victor auf den Reisen?«
»Es sieht nicht so aus. Julie schreibt immer nur an ihren Vater, nicht an beide, nicht an Mutter und Vater. Ich hatte den Eindruck, dass Victor allein reist. Es sind ja auch berufliche Reisen. Yvette wird wahrscheinlich zu Hause geblieben sein.«
»Und wo haben die Eltern gelebt, auch in Brisbane?«
Florence überlegte. »Ganz sicher sogar. Victor schreibt nur, wenn er auf Reisen ist. Dann braucht er Yvette nicht zu erwähnen, weil Julie ihre Mutter in Brisbane ja täglich sieht. So wird es gewesen sein.«
»Gut, und gibt es denn nach 1914 auch Briefe von
Weitere Kostenlose Bücher