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1981 - Richard

1981 - Richard

Titel: 1981 - Richard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Zeram
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-Gemälde ab Ende Oktober auch in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen sein würde. Edmund Linz glaubte es besser zu wissen. Auf der letzten Wandtafel war dann neben dem Foto des Ölgemäldes die Fotografie der kleinen Julie Jasoline aufgeklebt. Es war ein vergrößerter Ausschnitt. Die anderen Personen auf dem Originalbild waren an den Rändern abgeschnitten. Es gab keine Erklärung zu der Fotografie. Simon Halter hatte die Informationen, die mit der Entdeckung des Gauguin -Gemäldes zu tun hatten, für die Präsentation in Berlin aufgespart.
    Edmund Linz sah auf die Uhr, er hatte nicht gefrühstückt und heute auch sonst noch nichts gegessen. Er griff sich seine Jacke und verließ die Wohnung. Obwohl er eigentlich ein Restaurant aufsuchen wollte, fuhr er automatisch zur AMS . Es war halb sieben. Er beobachtete das Gebäude. Eine Gruppe junger Leute betrat gerade die Eingangshalle, vielleicht waren es Studenten, Kunststudenten. Edmund Linz stieg aus seinem Wagen und schritt über den Parkplatz zum Eingang. In der Halle war der Weg zum Ausstellungsraum mit einem grünen Teppich ausgelegt und durch eine dicke Kordel begrenzt, die von Ständern gehalten wurde. Morgen würde in dem Versicherungsgebäude reger Betrieb herrschen. Die Kunden und Angestellten würden die Gelegenheit nutzen, den Gauguin anzusehen. Heute schien eher weniger los zu sein. Die Halle roch wie immer nach Bohnerwachs. Er ging langsam über den Teppich. Vor dem Ausstellungsraum stand ein Mann im schwarzen Anzug und nickte ihm zu, als er den Raum betrat. Im Ausstellungsraum stand ein zweiter Sicherheitsmann, rechts von der Tür, die Arme vor dem Unterkörper verschränkt. Neben den Studenten, schritten noch andere Besucher die Wandtafeln ab oder standen vor der Vitrine. Es waren insgesamt vielleicht fünfzehn oder zwanzig Personen, auch einige Kinder darunter. Edmund Linz sah sofort hinüber zu dem Gemälde. Es war noch intakt, es war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Warum, fragte er sich. Er ging mit langsamen Schritten quer durch den Ausstellungsraum, trat vor die letzte Wandtafel und sah in Julie Jasolines Mädchengesicht. Dann drehte er sich zur Vitrine um. Ein Teil der Kordel und vier weitere Ständer waren auch hier verwendet worden und sollten verhindern, dass die Besucher näher als einen halben Meter an die Vitrine herankamen. Edmund Linz stellte sich neben eine Frau. Er blickte jetzt direkt von vorne auf das Gemälde. Er verharrte kurz und schritt dann langsam um die Vitrine herum. Das Gemälde war an Nylonschnüren gespannt, die das Bild oben und unten dicht vor der Vitrinenrückwand fixierten. Das Glas der Rückwand war von innen mit einer weißen Folie beklebt, so dass sich nur schwer hinter das Gemälde blicken ließ. Aber genau das interessierte Edmund Linz, die Rückseite der Leinwand. Was war geschehen? Er ließ alles noch einmal vor seinem geistigen Auge ablaufen. Die Mischung hatte er Freitagmorgen noch hergestellt, nein, er hatte sie ergänzen müssen. Es war noch was vorhanden, aber es hätte nicht gereicht, es fehlten gut hundert Milliliter von jeder Flüssigkeit. War das der Grund für das Versagen? Er überlegte. Den größten Teil seiner Mischung hatte er am Dienstag hergestellt, es hatte für all seine Versuche gereicht. Gab es eine Abhängigkeit über die Zeit, alterte die Mischung, reagierte sie in sich und konnte verderben? Die Generalprobe war doch gut verlaufen, aber eben mit den Flüssigkeiten aus derselben Charge. Er hatte doch zu wenig Zeit gehabt. Er hätte auch diesen Effekt testen müssen. Es war eben doch nicht so einfach. Er versuchte hinter die Leinwand zusehen, er konnte aber nichts erkennen. Das Gemälde warf einen Schatten, der von zwei Strahlern in der Vitrinendecke erzeugt wurde. Plötzlich schoss es Edmund Linz in den Kopf. Was wäre, wenn die Reaktion verzögert abliefe, was wäre, wenn er ausgerechnet genau zu diesem Zeitpunkt hier war. Das wollte er nicht. Er tat einen hastigen Schritt auf die Ausgangstür zu, fasste sich aber sofort wieder. Seine folgenden Schritte waren bedächtiger. Er ging zu einer der Wandtafeln und tat so, als ob er deren Inhalt lese. Er ging zur nächsten Tafel und erst dann verließ er den Ausstellungsraum. Der Weg zur Drehtür schien ihm endlos. Er begann das Grün des Teppichs zu hassen.
    *
    Am Mittwochabend saß Edmund Linz in seinem Wohnzimmer, es war kurz nach acht. Auf dem Fernseher liefen gerade die Nachrichten. Vier Tageszeitungen hatten über die

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