1981 - Richard
»Saint-Eutrope, das ist diese, unsere Kirche hier und es gibt in Allaire auch nur den einen Friedhof, den dort draußen. Ich denke, sie sind hier bestimmt richtig.« Der Pfarrer hob die Hände und deutete auf einen schweren hölzernen Schrank an einer Wand in der Sakristei. »Der Raum hier ist angenehm trocken, daher verwahren wir an diesem Ort die Kirchenbücher und die Verwaltungsunterlagen des Friedhofs.«
Er ging auf den Schrank zu, zückte ein Schlüsselbund und öffnete eine der Schranktüren. Im Innern standen auf dem obersten Bord eine Reihe schmaler Bücher in schwarzem Ledereinband.
»Wie lautet das genaue Todesjahr und der Name der Verstorbenen?«, fragte der Pfarrer.
Georg holte einen gefalteten Zettel aus seinem Jackett. Er hatte die komplette Mail von Liane DeFoube ausgedruckt.
»September 1938 und die Frau hieß Yvette Jasoline«, las Georg vor.
Der Pfarrer nickte und nahm ein Buch mit der Jahresaufschrift 1930 bis 1939 aus dem Schrank. Er blätterte nacheinander die Seiten um und suchte mit dem Finger die Zeilen ab.
»September«, murmelte er. »Und wie war noch einmal der Name?«, fragte er ohne aufzublicken.
»Jasoline, Vorname Yvette.«
Der Pfarrer setzte seine Suche in der aufgeschlagenen Buchseite fort. Sein Finger strich über die Zeilen.
»Im Jahr 1938 gab es nicht viele Totenmessen.« Sein Finger stockte. »Ich habe es, tatsächlich, Jasoline, Yvette, ungewöhnlich, sie hatte nur einen Vornamen. In Frankreich ist es eigentlich noch heute üblich, seinen Kindern mindestens zwei Vornamen zu geben.«
Er räusperte sich und sah Georg an. Dann beugte er sich wieder über das Buch und las den Eintrag weiter vor, den er gefunden hatte.
»Sie wurde am 1. November 1869 in Vannes geboren und ist am 22. September 1938 in Paris gestorben. Sie lebte gar nicht in unserer Gemeinde, wurde aber hier beerdigt. Vielleicht war es ihr Wunsch, wo sie doch in der Nähe, in Vannes zur Welt gekommen ist. Sie wurde damals auf Feld 17B Nr. 21-E-35 beigesetzt. Ja, sie staunen, so klein unser Friedhof auch ist, haben wir hier doch ein System, nach dem die Positionen der Gräber geordnet sind.« Der Pfarrer lächelte stolz.
»Existiert das Grab heute noch?«, fragte Georg.
»Mein Sohn, wir sind doch nicht in Paris, wo man die Toten wieder ausgräbt und in Höhlen unter der Stadt lagert. Wir können uns das Grab ansehen, wir haben hier in Allaire eine große Unterstützung durch unsere Jugendlichen und andere Gemeinde Mitglieder. Der Friedhof wird mit großer Mühe gepflegt, so dass auch die älteren Gräber, die keiner mehr besucht, in gutem Zustand sind.«
Während er dies sagte, klappte er das Buch zu, legte es in den Schrank und schloss wieder ab. Er öffnete die Tür und wies Georg den Weg aus der Sakristei, überholte ihn im Kirchengang und ging voraus. Das Feld 17B lag eigentlich in der Nähe der Kirche. Der Pfarrer suchte nach dem Grab. Er blieb immer wieder stehen und überlegte. Er wunderte sich über etwas, sagte aber nichts. Sie entfernten sich immer mehr von der Kirche. Das Feld 17B war fast quadratisch, es gab aber eine Art Zipfel. Zwischen dem Hauptteil und diesem Zipfel führte ein schmaler Weg, der in der Mitte einen steinernen Buckel aufwies. Der Pfarrer blieb erneut stehen und trat nachdenklich mit dem Fuß auf den Buckel. Georg sah auf den Boden und glaubte die Überreste einer Mauer zu erkennen. Der Pfarrer lief weiter und Georg vergaß seinen Gedanken. Das Anhängsel von Feld 17B war ebenfalls quadratisch angelegt, mit vielleicht fünfzehn Gräbern. Direkt dahinter folgte ein breiter, mit Kieseln ausgelegter Weg, an den sich das nächste Feld anschloss. Das Grab von Yvette Jasoline sah gepflegt aus, obwohl es keine Blumen gab, sondern nur mit Bodendeckern bepflanzt war, die in einem satten Grün auf die gesamte rechteckige Fläche verteilt waren. Die Ränder waren sorgfältig abgestochen. Georg blickte sich um. Erst jetzt bemerkte er, dass es in der Nähe nur einen einzigen Grabstein gab, auf die anderen der wenigen Gräber waren Metallkreuze gesetzt. Der Pfarrer blieb vor dem Grab von Yvette Jasoline stehen und starrte nachdenklich darauf. Er hockte sich schließlich hin. Georg stand neben ihm und las die Inschrift auf dem Grabstein. Es war nur das eingetragen, was er ohnehin schon wusste. Er hatte gehofft, auch Julies Namen zu finden. Wenn sie hier gestorben, oder zumindest beerdigt wäre, dann hätte er Liane DeFoube noch einmal gebeten, im Archiv nach Julie zu suchen.
Der Pfarrer
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