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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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wurde.
    So verbrachte Winston an einem Abend jeder Woche vier fürchterlich langweilige Stunden mit dem Zusammenschrauben von Metallstückchen, die vermutlich Bestandteile von Bombenzündern waren – in einer zugigen, schlecht beleuchteten Werkstatt, wo das Hämmern sich trostlos mit der Musik aus den Televisoren vermischte.
    Als sie sich in dem Glockenstuhl des Kirchturms trafen, ergänzten sie die Lücken ihrer bruchstückweisen Unterhaltungen. Es war ein glühendheißer Nachmittag. Die Luft in dem kleinen, viereckigen Raum über den Glocken war drückend und erstickend und roch durchdringend nach Taubenmist. Sie saßen stundenlang auf dem staubigen, mit schmutzigem Reisig bedeckten Fußboden und plauderten; von Zeit zu Zeit stand einer von ihnen auf und warf einen Blick durch die Schießscharten, um sich zu überzeugen, daß niemand kam.
    Julia war sechsundzwanzig Jahre alt. Sie wohnte in einem Heim mit dreißig anderen jungen Mädchen zusammen. (»Immer in dem Weibergestank! Wie ich die Frauen hasse!«) Und sie war, wie er vermutet hatte, an den Romanschreibemaschinen in der Literaturabteilung beschäftigt. Sie liebte ihre Arbeit, die in der Hauptsache in der Handhabung und Bedienung eines starken, aber sehr komplizierten Elektromotors bestand. Sie war nicht besonders intelligent, aber manuell geschickt und gut mit dem Maschinellen vertraut.
    Sie konnte den ganzen Arbeitsgang der Zusammenstellung eines Romans beschreiben, angefangen von den durch das Planungskomitee herausgegebenen Richtlinien bis zu den letzten, von der Umschreibe-Gruppe aufgesetzten Glanzlichtern. Aber sie hatte kein Interesse an dem Endprodukt. »Ich mache mir nicht viel aus Büchern«, sagte sie. Sie waren ein Artikel, der hergestellt werden mußte, wie Marmelade oder Schuhbänder.
    Sie hatte keinerlei Erinnerung an die Zeit vor den sechziger Jahren; der einzige Mensch in ihrem Umkreis, der häufig von der Zeit vor der Revolution gesprochen hatte, war ein Großvater, der verschwunden war, als sie acht Jahre alt wurde. In der Schule war sie Anführerin der Hockey-Mannschaft gewesen und hatte zwei Jahre hintereinander den Leichtathletikpreis gewonnen. Sie war Truppführerin bei den Spähern und Hilfssekretärin bei der Kinderliga gewesen, bevor sie in die Jugendliga gegen Sexualität eintrat. Ihr Führungszeugnis war immer vorzüglich gewesen. Sie war sogar dazu ausersehen worden – und das war ein untrügliches Zeugnis für eine gute Führung –, in der Unterabteilung der Literatur-Abteilung zu arbeiten, die billige pornographische Erzeugnisse zum Verkauf bei den Proles herstellte. Dort war sie ein Jahr geblieben und hatte in Zellophan gewickelte Broschüren mit Titeln wie »Liebe und Hiebe« oder »Eine Nacht in einem Mädchenpensionat« produzieren helfen, die heimlich von Jugendlichen aus dem Proletariat gekauft wurden, armen Ahnungslosen, die damit etwas gesetzlich streng Verbotenes und im geheimen Hergestelltes zu erstehen glaubten.
    »Was sind das für Bücher?« fragte Winston neugierig.
    »Ach, wüster Schund. Sie sind eigentlich sehr langweilig. Es gibt nur sechs mögliche Verwicklungen in der Handlung, die immer nur ein bißchen abgeändert werden. Ich war natürlich nur an den Kaleidoskopen beschäftigt. Nie bei der Umschreibe-Gruppe. Ich bin nicht literarisch genug, mein Lieber – nicht einmal dazu würde es reichen.«
    Mit Erstaunen erfuhr er, daß in der Pornoabteilung außer dem Leiter der Abteilung nur Mädchen beschäftigt wurden. Man ging davon aus, daß die Männer, die sich erotisch nicht so leicht beherrschen konnten wie Frauen, größere Gefahr liefen, durch den Schmutz, mit dem sie sich abgeben mußten, verdorben zu werden.
    »Sie nehmen dort nicht einmal gern verheiratete Frauen an«, fügte Julia hinzu. »Bei Mädchen wird immer vorausgesetzt, daß sie rein sind. Na, ich bin es jedenfalls nicht.«
    Sie hatte als Sechzehnjährige ihre erste Liebesaffäre mit einem sechzig Jahre alten Parteimitglied gehabt, einem Mann, der später Selbstmord beging, um der Verhaftung zu entgehen. »Und das war ein Glück«, fügte Julia hinzu, »sonst hätten sie meinen Namen von ihm herausbekommen, wenn er gestanden hätte.«
    Ihm waren zahlreiche andere gefolgt. In ihren Augen stellte sich das Leben sehr einfach dar. Man wollte es sich selbst so angenehm wie möglich machen; »sie«, das heißt die Partei, wollte einen daran hindern; also übertrat man die Gesetze, wo man nur konnte. Julia schien es ebenso natürlich zu finden,

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