1991 Atlantik Transfer (SM)
näher. Er stellte ein Glas, das er poliert hatte, hinter sich ins Regal. »Sind Sie etwa Bullen?« fragte er dann.
»Sehen wir so aus?« fragte Jacob Thaden zurück.
»Könnte man sagen, ja.«
Wulf Maibohm grinste den Mann an. »Wenn ich bloß wüßte, ob das ein Kompliment ist oder womöglich das Gegenteil.«
»Dürfen Sie halten, wie Sie wollen. Aber da kommt Ihr Täubchen!«
Maibohm rutschte von seinem Hocker und ging auf das Mädchen zu. »Hallo!« sagte er.
Sie gab ihm und dann auch Jacob Thaden die Hand, als wären sie alte Bekannte. »Jonny«, sagte sie zu dem Wirt, »sei so gut und hol mir ’ne Packung Zigaretten aus dem Automaten! Kennst ja meine Marke.« Sie schob ihm zwei Münzen hin. Der Mann ging, und sie fragte: »Macht es Ihnen was aus, wenn wir uns in einem der Separees unterhalten und Sie eine Flasche Sekt bestellen?«
»Das ist okay«, antwortete Wulf Maibohm, und ein paar Augenblicke später saßen die drei hinter der geschlossenen Portiere. Sekt und Gläser waren auch schon da.
Wulf Maibohm legte ein Papier auf den Tisch, das den Briefkopf seiner Zeitschrift trug, und las vor:
»Sollte das in unserer Serie SOS UND KEINE HILFE gesuchte Schiff durch die Angaben von Frau Agnes Huntinger gefunden werden, so steht ihr eine Belohnung von fünfzigtausend DM zu.« Er sah auf und fügte hinzu: »Dann kommen Unterschrift und Datum. Sind Sie einverstanden?«
Sie nahm das Schreiben zur Hand, prüfte es eingehend und steckte es in ihre Handtasche. »Ja, ist in Ordnung so.« »Gut, jetzt sind Sie dran.«
Und Melanie berichtete, erzählte sogar von der Fliege und ihrem Sektbad und endete mit den Worten: »Er hat gesagt, das Unglück auf dem Atlantik wäre das traurigste Kapitel in seiner zwanzigjährigen Seemannslaufbahn.«
Jacob Thaden war skeptisch. Er wollte dem Mädchen ein paar Fragen stellen, unterließ es dann aber doch, denn sie hatten vereinbart, daß er sich nach Möglichkeit zurückhalten sollte.
»Wie hieß das Schiff?« fragte Wulf Maibohm.
»Das hat er mir nicht erzählt. Aber er sagte, nächste Woche, wenn seine Großmutter ihren neunzigsten Geburtstag hat, ist er längst wieder auf See.«
»Wohin?«
»Hat er nicht gesagt.«
»Jonas heißt der Mann also. Jetzt frage ich Sie noch einmal: Ist das der Vor- oder der Nachname?«
»Der Vorname.«
»Verdammt!« Maibohm hob einen Bierdeckel hoch und knallte ihn auf den Tisch zurück. »Jonas aus Apenrade, das ist wie Fritz aus Flensburg!« Er hatte wenig Hoffnung auf eine positive Antwort, als er nun fragte: »Und sein Nachname? Hat er Ihnen den zufällig ins Poesie-Album geschrieben?«
Um so überraschter war er, als das Mädchen erwiderte: »Das nicht, aber Jonny hat seinen Ausweis gesehen und den Namen sogar laut vorgelesen. Ellery oder Elleby, ich weiß nicht mehr genau, aber so ähnlich klang es.«
»Jonny ist der Mann an der Theke, nicht?«
»Ja.«
»Wie kam es denn zu der Ausweiskontrolle?«
Melanie erzählte, was vorgefallen war, und dann sagte Maibohm: »Wenn Jonny den Namen vor Augen gehabt hat, wird er ihn wahrscheinlich noch wissen.«
»Mist!« sagte Melanie, und es kam von Herzen.
»Wir können ihn doch fragen!« meinte Thaden. Sie verzog den Mund. »Er achtet sehr darauf, daß man seinen Gästen nicht nachspioniert. Er sagt immer: Wenn hier einer Fragen stellt, und er ist kein Bulle, dann steckt garantiert ein Eheproblem dahinter, und da hab’ ich meine Kunden natürlich zu schützen.«
»Das krieg’ ich schon hin«, erklärte Wulf Maibohm.
»Muß ich die Belohnung dann etwa mit ihm teilen?«
»Nein, nein! Dem schieb’ ich einen Lübecker über den Tresen.«
Maibohm verließ die Nische, und sofort fühlte Jacob Thaden sich unbehaglich neben dem Mädchen, das eine fast durchsichtige Bluse trug und einen Rock, der kaum länger war als ein Paar Hot pants.
»Sind Sie auch von der Zeitung?« fragte sie.
»Nein, ich bin von der Reederei des untergegangenen Schiffes.«
»Glauben Sie, daß meine Spur die richtige ist?«
»Es ist möglich, kann aber auch ganz anders sein, zum Beispiel so: Dieser Jonas prahlt gern herum, fährt in Wirklichkeit nur auf einem kleinen Apenrader Fischkutter, möchte Ihnen aber unbedingt was von der großen Seefahrt erzählen und greift auf die Geschichte zurück, die er ein paar Tage vorher in der Zeitung gelesen hat.«
Diese Version gefiel Melanie nun überhaupt nicht, und sie hatte sogar ein stichhaltiges Gegenargument: »Also, das halt’ ich für ausgeschlossen! Ich hab’ die Geschichte ja auch gelesen, hab’
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