1991 Atlantik Transfer (SM)
zur Besatzung des amerikanischen Kriegsschiffes, das die vier Menschen gerettet hat, mich eingeschlossen. Dann wäre sein Dampfer nicht unser Gespensterschiff, und wir könnten wieder bei Null anfangen.«
»Er hat der Kleinen doch erzählt, sie hätten die Menschen – und zwar nicht nur vier, sondern alle – im Wasser gesehen, und das haben die Amis nicht. Die haben sehr viel später, als alles längst vorbei war, erst die Rettungsinsel mit den beiden Filipinos und dem Wolbrügge gefunden und dann dich.«
»Er kann die Ausschmückungen erfunden haben, so, wie er die Windstärke zwölf erfunden hat. Fast immer, wenn jemand Seemannsgarn spinnt, herrscht Windstärke zwölf.«
Nun wurde auch Wulf Maibohm nachdenklich, aber schließlich sagte er: »Die Chancen stehen immer noch fünfzig zu fünfzig. Warten wir ab, was die Mutter erzählt!«
Erst nach einer halben Stunde war es soweit. Eine einfach gekleidete alte Frau mit einem Einkaufsnetz in der Hand kam die Anhöhe herauf, schloß das rote Haus auf und ging hinein.
Sie warteten noch ein paar Minuten, und dann traten sie erneut an die Tür und klingelten. Die Frau öffnete ihnen. Sie war von Anfang an freundlich, ließ ihre Besucher, nachdem sie sich vorgestellt und ihr Anliegen genannt hatten, herein, bot ihnen sogar einen Fruchtsaft an, auf den sie aber verzichteten.
»Und da dachten wir«, setzte Wulf Maibohm das an der Haustür begonnene Gespräch fort, »wir gucken mal nach, ob Jonas zufällig zu Hause ist.«
»Woher kennen Sie ihn denn?«
»Wir hatten mal alle drei im Hamburger Hafenamt zu tun, mußten lange warten, wie das auf den Behörden so ist, und da haben wir uns angefreundet. Wirklich schade, daß wir ihn um einen Tag verfehlt haben!«
»Ja, gestern morgen hätten Sie ihn noch angetroffen. Er kam in der Nacht von Flensburg zurück, hat einen Freund besucht, dessen Schiff grad da liegt. Sie haben fast die ganze Nacht an Bord gefeiert.«
Nun, die beiden wußten es besser. Trotzdem fragte Wulf Maibohm: »Hat er zufällig erwähnt, auf welchem Schiff sie gefeiert haben?«
»Ja, auf der MELANIE.«
Sie mußten schmunzeln.
»Frau Ellerup«, begann nun Wulf Maibohm den entscheidenden Teil des Gesprächs, »wir fahren auch zur See, sind immer unterwegs, und manchmal hat man Glück, und ein guter Freund liegt mit seinem Schiff im selben Hafen. Aber wenn man den Namen seines Schiffes nicht kennt, gibt’s trotzdem kein Wiedersehen. Auf welchem fährt denn Ihr Jonas zur Zeit?«
Als die letzten Worte heraus waren, bemächtigte sich beider eine kaum erträgliche Spannung, und sie wünschten inständig, daß die alte Frau ihnen nicht mit Begriffen wie »Navy« oder »US-Marine« antworten würde. Thaden schloß sogar für einen Moment die Augen. Aber dann kam, so selbstverständlich, als teilte sie den Namen einer Blume aus ihrem Garten mit, die Antwort:
»Auf der CAPRICHO.«
Sie sahen einander an, erleichtert, erfreut, aber nur ganz kurz, denn Maibohm faßte sofort nach: »Ah, auf der CAPRICHO! Zu welcher Reederei gehört das Schiff eigentlich?«
»Zu einer chilenischen. Sie sitzt in Antofagasta. Den Namen vergesse ich immer wieder; es ist irgendwas mit Marítima .«
Von Interesse war auch, welchen Job Ellerup an Bord hatte, aber alte Freunde, als die sie sich ausgegeben hatten, mußten darüber Bescheid wissen. Dem findigen Wulf Maibohm kam eine gute Idee: »Ist Jonas inzwischen eigentlich mal befördert worden?«
»Wieso? Kann er doch gar nicht als Funker.«
»Doch, auf großen Schiffen gibt es mehrere Funkoffiziere.«
»Aber die CAPRICHO ist nicht sehr groß. Sechstausend Tonnen hat sie nur.«
»Ach so.«
»Frau Ellerup«, meldete sich nun Jacob Thaden zu Wort, »jetzt haben wir Jonas schon zum zweiten Mal um Haaresbreite verpaßt. Im Winter waren wir mit unserem Schiff in Baltimore, drüben in den USA. Und stellen Sie sich vor, da trafen wir meinen Bruder, der auch zur See fährt und der kurz vorher Ihren Sohn gesprochen hatte; ich weiß nicht mehr, in welchem Hafen, aber es war irgendwo in der Nähe. Anfang Februar muß es gewesen sein.«
Thaden sah den Freund an: »Du sagtest noch, du hättest Jonas so gern wiedergesehen, weil er ein so netter Kerl ist.« Und dann wandte er sich wieder an die Mutter dieses netten Kerls: »Wissen Sie, wo er damals mit der CAPRICHO lag?«
»Warten Sie!« Die Frau verschwand, war aber nach wenigen Augenblicken zurück, in der Hand einen
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