1Q84: Buch 1&2
Einschränkungen, fügte er bei sich hinzu.
»Sie hat Sie auch geliebt.«
»Vielleicht. Bis zu einem gewissen Grad.«
»Sie hatten Verkehr.«
Tengo brauchte einen Moment, bis ihm einfiel, dass sie mit diesem Wort wohl »Geschlechtsverkehr« meinte. Es war kein Wort, das er aus Fukaeris Mund erwartet hätte.
»Natürlich. Sie ist bestimmt nicht jede Woche hergekommen, um mit mir Monopoly zu spielen.«
»Monopoly«, fragte Fukaeri.
»Ach, nichts«, sagte Tengo.
»Aber jetzt kommt sie nicht mehr.«
»Zumindest hat ihr Mann mir das gesagt. Sie sei verlorengegangen und könne nicht mehr zu mir kommen.«
»Verlorengegangen.«
»Was das konkret bedeutet, weiß ich nicht. Ich habe ihn gefragt, aber er hat es mir nicht gesagt. Im Leben gibt es meist mehr Fragen als Antworten. Es ist ein ungleicher Handel. Möchtest du Tee?«
Fukaeri nickte.
Tengo goss das kochende Wasser in die Kanne. Er setzte den Deckel darauf und ließ den Tee ziehen.
»Da kann man nichts machen«, sagte Fukaeri.
»Dagegen, dass es zu wenig Antworten gibt? Oder dass sie verlorengegangen ist?«
Fukaeri gab keine Antwort.
Resigniert goss Tengo den schwarzen Tee in zwei Teetassen. »Zucker?«
»Einen Löffel«, sagte Fukaeri.
»Zitrone oder Milch?«
Fukaeri schüttelte den Kopf. Tengo gab einen Teelöffel Zucker in ihre Tasse, rührte langsam um und stellte sie der jungen Frau hin. Dann setzte er sich mit seinem Tee – er trank ihn schwarz – ihr gegenüber an den Tisch.
»Der Verkehr hat Ihnen gefallen«, fragte Fukaeri.
»Ob es mir gefallen hat, mit meiner Freundin zu schlafen?« Tengo formulierte ihre Frage sicherheitshalber noch einmal aus.
Fukaeri nickte.
»Ja, schon«, sagte Tengo. »Ich habe eine gewisse Vorliebe für den Verkehr mit dem anderen Geschlecht. Die meisten Menschen mögen das.«
Und, dachte er bei sich, sie war sehr gut darin gewesen. Genau wie es in manchen Dörfern einen Bauern gibt, der ein besonderes Händchen für die Bewässerung seiner Felder hat, war sie gut in der Liebe gewesen. Wie gern sie alles Mögliche ausprobiert hatte!
»Sie sind traurig, dass sie jetzt nicht mehr kommt«, fragte Fukaeri.
»Ja, schon, wahrscheinlich«, sagte Tengo. Und trank von seinem Tee.
»Weil es keinen Verkehr mehr gibt.«
»Das spielt natürlich auch mit hinein.«
Fukaeri blickte Tengo eine Weile direkt ins Gesicht. Es schien, als würde sie über den Umstand des Geschlechtsverkehrs nachdenken. Andererseits konnte niemand je wissen, was Fukaeri wirklich dachte.
»Hast du Hunger?«, fragte Tengo.
Fukaeri nickte. »Ich habe seit heute Morgen fast nichts gegessen.«
»Dann lass uns was zu essen machen«, sagte Tengo. Auch er hatte seit dem Morgen kaum etwas zu sich genommen und spürte seinen leeren Magen. Außerdem hätte er auch nicht gewusst, was sie sonst hätten tun sollen.
Tengo wusch Reis, schaltete den Reiskocher ein und bereitete, während der Reis garte, eine Misosuppe mit Wakame-Algen und Frühlingszwiebeln, briet eine getrocknete Rossmakrele, nahm Tofu aus dem Kühlschrank, hackte Ingwer und rieb Rettich. Er wärmte etwas übriggebliebene Gemüsebrühe in einem Topf auf und richtete eingelegte weiße Rüben und Salzpflaumen an. Die kleine, enge Küche wirkte noch enger, wenn der stattliche Tengo darin herumwirtschaftete. Dennoch fühlte er sich nicht eingeengt. Er war seit langem daran gewöhnt, mit dem auszukommen, was er hatte.
»Leider kann ich nur ein paar Kleinigkeiten machen«, sagte Tengo.
Fukaeri beobachtete, wie er geschickt herumhantierte. »Sie sind daran gewöhnt zu kochen«, sagte sie, nachdem sie seine auf dem Tisch aneinandergereihten Erzeugnisse interessiert betrachtet hatte.
»Das kommt, weil ich schon so lange allein lebe. Ich koche rasch etwas für mich allein und esse es rasch für mich allein.«
»Sie essen immer allein.«
»Ja. Ich esse nur ganz selten in Gesellschaft. Bis vor kurzem habe ich einmal in der Woche mit dieser Frau zu Mittag gegessen. Aber dass ich mit jemandem zu Abend gegessen habe, ist schon eine Ewigkeit her.«
»Es macht Sie nervös«, fragte Fukaeri.
Tengo schüttelte den Kopf. »Nein, nicht besonders. Höchstens beim Abendessen. Es fühlt sich etwas seltsam an.«
»Ich habe immer mit vielen Leuten zusammen gegessen. Weil ich von klein auf mit so vielen Menschen zusammengelebt habe. Auch beim Sensei essen wir immer mit allen möglichen Leuten. Weil er immer viel Besuch hat.«
Es war das erste Mal, dass Fukaeri mehrere Sätze am Stück gesprochen
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