1Q84: Buch 1&2
körperlich völlig verschieden. Er ist von Natur aus ein Führer, ich bin ein einsamer Wolf. Er ist ein politisch denkender Mensch, ich bin völlig unpolitisch. Er ist ein großer Mann, ich bin klein. Er ist eine imposante Erscheinung, ich bin ein bescheidener Gelehrter mit einem seltsam geformten Kopf. Und dennoch verstanden wir uns als Freunde und Kollegen. Wir akzeptierten und vertrauten uns gegenseitig. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, er war der einzige Freund, den ich in meinem ganzen Leben gehabt habe.«
Unter der Führung von Fukada machte die Gruppe in den Bergen von Yamanashi ein verlassenes Dorf ausfindig, das ihren Vorstellungen entsprach. Die bäuerliche Jugend war in die Städte abgewandert, und allein konnten die zurückgebliebenen Alten die Felder nicht bestellen. So hatte sich das Dorf in eine Art Geisterstadt verwandelt. Fukadas Gruppe konnte die Äcker und Häuser sozusagen zum Selbstkostenpreis übernehmen. Auch ein paar Gewächshäuser aus Plastik waren vorhanden. Die Behörden gewährten ihnen Unterstützung, mit der Auflage, dass die bestehenden Felder weiter bebaut werden müssten. Fukada steuerte Kapital aus einer persönlichen Quelle bei.
Professor Ebisuno wusste jedoch nicht, woher es gekommen war. »Fukada hat nie darüber gesprochen. Was es mit diesem Geld auf sich hatte, blieb sein Geheimnis. Jedenfalls hat er das Geld, das der Gemeinschaft zum Aufbau noch fehlte, irgendwo aufgetrieben. Damit konnten sie das nötige Baumaterial und die landwirtschaftlichen Maschinen kaufen sowie ein paar Reserven anlegen. Sie renovierten die dortigen Häuser und schufen Wohnraum für etwa dreißig Mitglieder. Das war im Jahr 1974. Die neue Kommune wurde auf den Namen ›Die Vorreiter‹ getauft.«
Die Vorreiter?, dachte Tengo. Den Namen hatte er schon einmal gehört, wusste aber nicht mehr, in welchem Zusammenhang. Es ärgerte ihn ziemlich, dass sein Gedächtnis ihn im Stich ließ. Der Professor fuhr fort.
»Fukada war darauf vorbereitet, dass die Jahre der Eingewöhnung auf dem Land und die Verwaltung der Kommune recht hart werden würden, doch alles entwickelte sich weitaus günstiger, als er erwartet hatte. Außerdem spielten ihnen die klimatischen Verhältnisse öfter in die Hände, und die Einheimischen leisteten ihnen nützliche Nachbarschaftshilfe. Fukadas aufrechter Charakter war den Leuten sympathisch, und auch die jungen Mitglieder der Vorreiter, die im Schweiße ihres Angesichts und mit Begeisterung den Boden bestellten, machten großen Eindruck auf sie. Immer wieder kamen sie vorbei und standen ihnen mit wertvollem Rat zur Seite. Dadurch eignete sich die Gruppe sehr viel praktisches Wissen über die Landwirtschaft an und lernte, im Einklang mit der Erde zu leben. Im Grunde setzten die Vorreiter zunächst das bei Takashima gelernte Know-how um, aber in einigen Dingen beschritten sie neue und eigene Wege. Zum Beispiel gingen sie vollständig zum organischen Anbau über. Sie bemühten sich, ausschließlich organische Dünger und keine chemischen Insektizide zu verwenden. Schließlich begannen sie mit dem Verkauf von Lebensmitteln an wohlhabendere Schichten in den Städten, bei denen sie höhere Preise erzielen konnten. Das war sozusagen der Beginn der ökologischen Landwirtschaft. Der Zeitpunkt und die Umstände waren ideal. Da die meisten Mitglieder selbst in der Stadt aufgewachsen waren, wussten sie genau, was eine städtische Bevölkerung wünschte. Die Städter waren zunehmend bereit, für unbehandeltes, frisches Gemüse von guter Qualität höhere Preise zu zahlen. Die Vorreiter schlossen einen Vertrag mit einer Spedition ab und schufen ein eigenes vereinfachtes Liefersystem, durch das ihre Waren auf möglichst schnellem Weg in die Städte gelangten. Sie waren die Ersten, die gegen den allgemeinen Trend ›urwüchsige Gemüse, an denen noch Erde haftet‹ verkauften.«
»Ich habe Fukadas Hof immer wieder besucht und mit ihm gesprochen«, erzählte Professor Ebisuno weiter. »Er schien lebhaft von der Idee in Anspruch genommen, eine veränderte Umwelt zu schaffen und neue Möglichkeiten auszuprobieren. Vermutlich war es die friedlichste und hoffnungsvollste Zeit seines Lebens. Auch seine Familie schien sich an ihr neues Dasein gewöhnt zu haben.
Immer mehr Menschen kam der gute Ruf des Vorreiter-Hofs zu Ohren, und viele wollten daran mitwirken. Durch den Lieferservice wurde der Name zunehmend bekannt in der Öffentlichkeit, und auch die Medien erkoren die Kommune zum leuchtenden
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