1WTC
mache mir Notizen, fotografiere, dann kommt ein Wachmann und will die Kamera.«
»Daran wird sich aber auch dadurch nichts ändern, dass du das mit einer Videokamera machst.«
»Richtig. Da jetzt mit noch mehr Kameras dagegen zu filmen, ergibt ja auch gar keinen Sinn. Das wäre eine Art Rüstungswettlauf, und das führt nirgendwohin. Ich mach das jetzt wie die Surveillance Camera Players.«
»Und drehst den Film …«
» … mit den Überwachungskameras, die schon da sind. Ich will das unerschöpfliche Reservoir an Geschichten sichtbar machen, das die Überwacher zu sehen bekommen.«
»Sag mal, Mikael, kommst du heute noch zu mir? Oder wollen wir uns irgendwo treffen? Wir könnten Essen gehen.«
»Ich erzähle dir meine neue Idee, und du denkst ans Essen?«
»Meine Güte, ich hab halt Hunger. Außerdem würde ich dich gerne sehen … Mikael, bis du noch dran?«
»Kannst du mir dabei helfen? Du weißt doch, wie man Überwachungskameras hacken kann.«
»Man, du erzählst vielleicht einen Blödsinn. Wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass ich von so was Ahnung haben könnte?«
Syana legt auf.
Eine halbe Stunde später steht Mikael vor Syanas Tür.
»Hast du einen Knall? So was kann man doch nicht am Telefon besprechen!«
»Wieso? Glaubst du etwa, dass dein Telefon abgehört wird?«
Syana zuckt mit den Schultern. »Wer weiß, vielleicht wirst ja auch du abgehört?«
»Wieso sollte denn ich abgehört werden?«
Syana lacht. »Stimmt, für dich interessiert sich vielleicht wirklich niemand, aber bei mir ist das eben was anderes. Ich muss vorsichtig sein.«
»Okay. Werd ich mir merken. Kann man nun mit Überwachungskameras einen Film drehen oder nicht?«
»Wenn du die Kameras selbst montierst, auf jeden Fall.«
»Syana, ich mein’s ernst. Kannst du mir helfen?«
»Mal sehen.«
Dass sie nicht mit »Ja!« antworten würde, war Mikael klar. Aber eigentlich hieß »mal sehen« bei ihr »kein Problem«.
»Was bekomme ich denn für meine Hilfe?« Sie lehnt sich gegen den Kühlschrank und streckt die Hüfte vor.
»Was willst du denn? Ein Abendessen die Woche könnte ich dir anbieten. Selbst gekocht. Wenn es sein muss, sogar vegetarisch.«
»Krieg ich eine Anzahlung?«
»Nein, ich hab nichts eingekauft. Aber ich kann ja mal kucken, was noch im Kühlschrank ist.«
»Versuch’s doch«, antwortet Syana und zieht Mikael zu sich heran.
»Da gibt es mehrere Möglichkeiten«, erklärt Syana, während Mikael eine Art Bauernfrühstück zubereitet. »Man kann die Videoaufnahmen analog oder digital übertragen. Mit Kabeln oder über Funk. Die Funksignale abzufangen ist einfach. Na ja, relativ einfach. Kabel kann man auch anzapfen, da muss man aber mechanisch ran.«
Mikael versucht sich vorzustellen, wie Syana an der Verkabelung eines überwachten Gebäudes herumbastelt.
»Bei den digitalen Systemen sind die Kameras an einen Computer angeschlossen, der entweder über Kabel oder über WLAN mit dem Netz verbunden ist. Je nachdem, wie das aufgebaut ist, gibt es unterschiedliche Punkte, an denen man zum Hacken ansetzen kann. Den Netzwerkverkehr fängt man am besten in der Nähe der Quelle ab. Also bei der Kamera. Oder beim Empfänger, also dem Monitor oder dem Recorder. Dafür braucht man einen Netzwerk-Sniffer. Bei großen WLAN-Netzwerken ist es komplizierter, die sind fast immer verschlüsselt. Es gibt aber immer noch unverschlüsselte Netzwerke. Und WEP und WPA lassen sich eh relativ einfach knacken.«
Mikael wirft kleingeschnittene Kartoffeln und Zwiebeln in die Pfanne.
»Passt du mal auf, dass nichts anbrennt? Ich hol schnell eine Flasche Wein.«
Mikael rennt die Treppen runter. Draußen ist es bereits dunkel. Der Film – oder besser die Filme, aus denen er das Ganze collagieren will – ist in seiner Vorstellung schon fast fertig.
Alle Bilder sind schwarz-weiß. Geringe Auflösung, niedrige Bildrate. Überwachungslook. Die gleichen Szenen wiederholen sich an verschiedenen Orten. Feste Kameraeinstellung, die typische Perspektive von oben.
United Nations Plaza.
Wall Street.
Ground Zero.
Die Ästhetik krisseliger Schwarzweißbilder.
Er bleibt stehen, breitet die Arme aus und dreht sich um die eigene Achse, bis ihm schwindelig wird und alle Schwere aus seinem Körper verschwindet. Es wird eine großartige Zeit in New York.
2.
»Show you’re not afraid. Go shopping.«
Rudolph Giuliani,
Bürgermeister von New York,
12. September 2001
Nahaufnahme. Bürgersteig. Braune Herrenlederschuhe, blaue
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