2 - Wächter des Tages
Übersinnlicher. Hm ... Ich würde ihn eines Besseren belehren.
Beide Hunde verloren auf einen Schlag ihre Lebensfreude und warfen sich winselnd vor Matwejs Füße. Ich hob meinen kaum zu erkennenden morgendlichen Schatten vom Schnee auf und verschwand ins Zwielicht.
Matwej gab mit seinen aufgerissenen Augen ein zu komisches Bild ab. Verwirrt ließ er das Beil fallen, das dem Neufundländer auf die Pfote fiel, worauf der arme Hund aus vollem Hals loskläffte.
Matwej sah mich nicht. Und er sollte mich nicht sehen.
Ich zog die Jacke aus. Die würde Matwej auch nicht sehen, ehe ich sie nicht aus dem Zwielicht herausgeworfen hatte. Ich kramte etwas Geld aus meiner Hemdtasche und stopfte zwei Hundertdollarscheine in die lackentasche. Dann warf ich sie Matwej zu.
Matwej zuckte zusammen, griff reflexartig nach der Jacke, die für ihn direkt in der Luft aufgetaucht sein musste, und sah sich um. Ehrlich gesagt, sah er ein wenig mitleiderweckend aus, aber ich spürte: Ohne eine solche Demonstration hätte ich ihn niemals überzeugen können.
Ich wollte nichts Fremdes mitnehmen, nicht einmal diese verdammte Jacke. Von Menschen, die ohne überflüssige Fragen zu stellen einem halb nackten Unbekannten helfen, der mitten in der Nacht an ihrem Lagerfeuer auftaucht, darf man nichts nehmen, wenn es sich vermeiden lässt. Die Jacke war völlig in Ordnung und bestimmt nicht billig gewesen. Ich wollte sie nicht. Ich war ein Dunkler. Ich brauche nichts Fremdes.
Hinter Matwej trat ich aus dem Zwielicht heraus. Er starrte noch immer wie blind in die Leere.
»Ich bin hier«, sagte ich, worauf Matwej herumwirbelte. Jetzt trat ein wahrhaft irrer Ausdruck in seinen Blick.
»Ah, äh, ah...«, stotterte er und verstummte.
»Vielen Dank. Aber ich brauche die Jacke wirklich nicht.«
Matwej nickte. Jeder Wunsch, mir zu widersprechen, war ihm offensichtlich vergangen. Meiner Meinung nach beunruhigte ihn der Gedanke, die ganze Nacht allein in einem Zelt mit einem Monster verbracht zu haben, das sich vor seinen Augen in Luft auflösen konnte - und wer weiß wozu sonst noch fähig sein mochte.
»Verrat mir noch eins: Wie komme ich von hier weg?«
»Da drüben.« Matwej wedelte mit der Hand in Richtung des Pfads, über den ich gekommen war. »Da geht die Bahn. Sie fährt schon.«
»Gibt es keine Straße? Ich würde lieber trampen.«
»Doch. Gleich hinter den Schienen.«
»Wunderbar!«, freute ich mich. »Also dann! Noch mal danke. Gratuliere dem Geburtstagskind von mir... und... gib ihr...«
Erstaunlich, wie gut ich diesen simplen, aber unbekannten Zauber hinbekam. Ich steckte die Hand hinter den Rücken, berührte einen vereisten Zweig, brach ihn ab - und hielt Matwej eine frische, eben erst vom Strauch geschnittene Rose hin. An den grünen Blättern zitterten Tautropfen, die Blütenblätter flammten purpurrot. Eine frische Rose in einem verschneiten Wald - das gibt ein sehr schönes Bild.
»Ah ... äh...«, flüsterte Matwej, der automatisch die Blume an sich nahm. Ob er sie wohl dem Geburtstagskind geben oder sie vorsichtshalber doch lieber in einer Schneewehe vergraben würde, damit er keine langen und umständlichen Erklärungen abgeben musste?
Das würde ich nicht mehr in Erfahrung bringen. Erneut trat ich ins Zwielicht. Ich wollte mich nicht durch den Schnee schleppen. Was mir gestern Abend noch Spaß gemacht hatte, als ich mich an dem Gedanken weidete, Geser entkommen zu sein, passte heute, wo ich erholt und voller Kraft war, nicht mehr zu mir.
Etwas hatte ich noch vergessen ... Ach ja! Die Mütze. Die gehörte schließlich auch nicht mir, saß mir aber noch auf dem Kopf. Ich warf sie der Jacke hinterher - und dann nichts wie weg.
Ich eilte mit Sprüngen von ein-, zweihundert Metern vorwärts. Ich öffnete kleine Portale an der äußersten Sichtgrenze und durchmaß wie ein Riese den Raum, indem ich die Kilometer fraß.
Am Tag sah die Schneise ganz gewöhnlich aus, jeder Zauber war unwiederbringlich verloren. Nicht umsonst wählen alle echten Romantiker und Freiheitsliebenden - alle Dunklen - als ihre Zeit die Nacht. Die Nacht und nicht den Tag, wenn aller Dreck und Müll aufdringlich ins Auge springt, wenn zu sehen ist, wie hässlich und heruntergekommen unsere Städte sind, wenn die Gehsteige von dummen Menschen überquellen und die Straßen von stinkenden Autos verstopft sind. Der Tag, das ist die Zeit der Fesseln und Ketten, der Pflichten und Regeln, während die Nacht die Zeit der Freiheit ist.
Der Freiheit, die ein
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