2 - Wächter des Tages
befand sich mit Sicherheit ein Gast. Wer war es diesmal?
Den als Medaillon gearbeiteten Talisman in der Hand, ging er ins Zimmer.
Im Sessel saß Sebulon und las die Zeitung Argumente und Fakten. Er trug einen streng geschnittenen schwarzen Anzug, ein hellgraues Hemd und spiegelblank polierte Stiefeletten mit quadratischen Spitzen, wie sie Mafiosi bevorzugen. Er nahm die Brille ab, um den Lichten zu begrüßen: »Hallo, Anton.«
»Ein Dejà-vu...«, murmelte Anton. »Äh, hallo.«
Merkwürdigerweise jagte Sebulon ihm diesmal überhaupt keine Angst ein. Ob das daran lag, dass Sebulon sich beim letzten Besuch absolut korrekt verhalten hatte?
»Du kannst mein Amulett nehmen. Es ist in der Tischschublade, das spüre ich.«
Anton ließ den Talisman um den Hals baumeln, zog die Jacke aus und ging gehorsam zum Tisch. Sebulons Amulett versteckte sich zwischen Papieren und anderm Bürokram, der praktisch von selbst mit einer fatalen Zwangsläufigkeit anwuchs.
»Sebulon, du hast keine Macht mehr über mich«, sagte Anton mit fremder Stimme.
Der Dunkle Magier nickte zufrieden. »Gut. Ich muss dir ein Kompliment machen: Damals hast du gezittert wie Espenlaub. Aber heute bist du ganz ruhig. Du wächst, Anton.«
»Vermutlich sollte ich dir für das Kompliment danken?«, fragte Anton trocken.
Sebulon legte den Kopf in den Nacken und brach in lautloses Gelächter aus. »Lassen wir das«, sagte er nach ein paar Sekunden. »Wie ich sehe, kommst du gleich zur Sache. Das ist mir nur recht. Ich bin gekommen, um dir einen Verrat vorzuschlagen, Anton. Einen kleinen, wohl überlegten Verrat, von dem alle nur Vorteile haben, du ebenfalls. Das klingt paradox, nicht wahr?«
»Ja.«
Anton blickte Sebulon in die grauen Augen und versuchte zu verstehen, in welche Falle er ihn diesmal locken wollte. Trau einem Menschen zur Hälfte, einem Lichten zu einem Viertel und einem Dunklen überhaupt nicht.
Sebulon war der stärkste und folglich der gefährlichste Dunkle Moskaus. Und vermutlich Russlands.
»Ich werde es dir erklären.« Sebulon zeigte keine Hast, trödelte jedoch auch nicht. »Von der morgigen Sitzung des Tribunals hast du bereits gehört, oder?«
»Ja.«
»Geh da nicht hin.«
Anton beschloss jetzt endlich, sich zu setzen - auf das Sofa an der Wand. Sebulon befand sich damit rechts von ihm.
»Und weshalb nicht?«, wollte Anton wissen.
»Wenn du nicht hingehst, bleibst du mit Swetlana zusammen. Wenn du hingehst, verlierst du sie.«
In Antons Brust ballte sich ein heißer Kloß zusammen. Ob er Sebulon glaubte oder nicht - das war jetzt völlig zweitrangig. Denn er wollte ihm glauben. Nur zu gern.
Doch er vergaß nicht, dass man einem Dunklen nicht glauben durfte.
»Die Führung der Nachtwache plant wieder einmal ein globales gesellschaftliches Experiment. Das weißt du vermutlich. Swetlana soll in diesem Experiment eine ziemlich wichtige Rolle spielen. Es liegt mir fern, dich umzustimmen oder für das Dunkel zu gewinnen - das ist eine absolut aussichtslose Sache. Ich führe dir bloß vor Augen, was ein solches Experiment für Folgen zeitigen könnte. Nämlich die Zerstörung des Gleichgewichts. Eine banale Sache, die jeder Seite hochwillkommen ist, um ihre Position auszubauen. In letzter Zeit ist das Licht stärker geworden, was mir natürlich nicht gefällt. Die Tagwache hat ein Interesse an der Wiederherstellung des Gleichgewichts. Und du bist derjenige, der uns helfen kann.«
»Wie merkwürdig«, meinte Anton nachdenklich. »Der Chef der Tagwache bittet einen Wächter der Nacht um Hilfe. Wirklich sehr merkwürdig.«
»Im Grunde könnten wir auf deine Hilfe auch verzichten. Wir kämen ebenso gut allein zurecht. Aber wenn du etwas für dich tust - und in erster Linie geht es um dich -, tust du auch etwas für uns. Und auch für Swetlana sowie für alle, die unweigerlich unter diesem neuen Experiment zu leiden hätten.«
»Ich verstehe aber nicht, wie ich Swetlana und mir helfen könnte.«
»Was gibt es da nicht zu verstehen? Swetlana ist eine potenziell sehr starke Zauberin. Je weiter sie wächst, desto stärker wächst auch die Kluft, die euch trennt. Ihre Kraft ist ein Faktor, der das Gleichgewicht zugunsten des Lichts verschiebt. Wenn Swetlana ihre Kraft vorübergehend verlieren würde, wäre das Gleichgewicht wiederhergestellt. Dann würde euch nichts mehr trennen, Anton. Sie liebt dich - das ist klar zu erkennen. Und du liebst sie. Willst du dem Licht wirklich dein Glück und das Glück der Frau, die du
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